Blinde und Sehbehinderte in der Multimediagesellschaft
I Einleitung
Als ich vor einiger Zeit von einer geplanten "Datenautobahn" erfuhr, auf der Informationen zwischen den Ministerien in Bonn und Berlin ausgetauscht werden sollen, ließ mich der Gedanke nicht mehr los, daß die Computer-Vernetzung von Verwaltungen und Unternehmen das endgültige Aus für Schreibbüros bedeuten könnte.
In den meisten Verwaltungen und Betrieben wird es zur Selbstverständlichkeit, daß Sachbearbeiter ihre Schriftstücke direkt in den PC eingeben und elektronisch per Fax oder als Email an den Empfänger versenden. Nicht der Einsatz sog. grafischer Benutzeroberflächen (z. B. MS Windows) ist zum eigentlichen Job-Killer für Blinde und stark Sehbehinderte geworden, sondern es besteht die Gefahr, daß die Zunahme von multimedialen Darbietungen von Informationen eine unüberwindbare Hürde für die Beschäftigung Blinder und Sehbehinderter werden könnte.
Darum habe ich mich in den letzten Monaten
intensiv mit den Themen ,,Mulimedia" und "Internet"
auseinandergesetzt und versucht, erste Folgeabschätzungen
für uns Blinde und Sehbehinderte vorzunehmen. Je mehr ich mich
mit dieser Thematik befaßt habe, desto mehr wurde mir klar,
daß wir uns inmitten eines umfassenden gesellschaftlichen
Wandels befinden, von dem kein Lebens- und Arbeitsbereich
unberührt bleiben wird.
Ich kann im folgenden nur einen Ausschnitt dieses Wandels und der
daraus entstehenden Probleme skizzieren, hoffe aber, daß ich
mit diesem Beitrag eine Diskussion anstoße, damit wir nicht den
gesellschaftlichen Anschluß verlieren!
II Multimedia und Internet
Begriffe wie Multimedia und Internet beherrschen z.Z. die öffentliche Diskussion. Von Multimedia und Internet geht eine große Faszination aus. So kann man beispielsweise in einem multimedialen Lexikon "blättern", in dem dann Kennedy nicht nur in einem Videoclip zu sehen ist, sondern man hört noch einmal den berühmten Satz: "Ich bin ein Berliner!"
1 Was ist eigentlich Multimedia?
Der Begriff Multimedia steht für eine Präsentationsform von Informationen, bei der mindestens zwei unterschiedliche digitale Medien wie z.B. Text, Bild, Ton und Videosequenzen gemischt werden. Die multimedialen Darbietungen von Informationen auf dem PC-Bildschirm bedeuten für uns eine erhebliche Erschwernis bei der lnformationsbeschaffung und -verarbeitung. Bereits die grafisch aufbereiteten Programmoberflächen und Dokumente sind für Blinde und stark Sehbehinderte nicht ohne weiteres zugänglich. Je mehr die grafischen Programmoberflächen auch von blinden PC-Anwendern benutzt werden, desto deutlicher wird, daß wir mit der "Mausklick-Geschwindigkeit" der nichtbehinderten User nicht uneingeschränkt Schritt halten können. So muß man sich z.Z. damit abfinden, daß Blinde und stark Sehbehinderte trotz des Einsatzes von spezieller Brückensoftware für Windows insbesondere beim Umgang mit Grafiken, Bildern und dem Layouten von Texten mit nichtbehinderten Computernutzern nicht konkurrieren können.
Es ist absehbar, daß bald kaum noch ein Blinder mit dem Betriebssystem DOS am PC arbeiten wird, wo die Programmoberflächen hierarchisch, zeilen- und spaltenweise gegliedert und die Programme textorientiert so gut für Braille und Sprachausgabe anpaßbar waren.
1.2 Das "Netz der Netze": Das Internet
,,Multimedia" war das Wort des Jahres 1995. Nicht weniger gering ist das Interesse am Internet, das die Grundlage für weltumspannende multimediale Anwendungen eröffnet.
Vom Internet sollen aber auch - so die Propheten - fast unglaubliche Impulse für ein neues Wirtschaftswachstum und gesellschaftliche Veränderungen ausgehen. Dabei scheint sich das Internet zu einem wesentlichen Rückgrat der sich herausbildenden lnformationsgesellschaft zu entwickeln und verdient daher besonderes Interesse.
Die Geschichte des Internet begann Anfang der siebziger Jahre, als die Militärs in den USA das Forschungsprojekt "Arpanet" (Advanced Research Project Agency) aus der Taufe hoben. Die Beschränkung auf rein militärische Zwecke wurde schnell aufgegeben. 1973 wurden die ersten internationalen Verbindungen nach England und Norwegen geschaffen. 1984 bekam die Universität Dortmund einen Zugang zum Netz. Der besondere Clou des Netzes war und ist, daß sich die Daten auch bei einem Ausfall eines Knotenrechners oder einer Datenleitung automatisch den Weg zum Empfänger bahnen. Die Verknüpfung der Netze erhielt den Namen "Internet". In den Universitäten fand man bald heraus, daß ein internationaler Austausch von Forschungsergebnissen über das Internet schnell und kostengünstig möglich ist, was die Entfaltung des Internet weiter beschleunigte.
Die massenhafte Verbreitung des Personalcomputers seit Beginn der 80er Jahre hat auch das Internet verändert: Aus dem zentralistisch, hierarchisch aufgebauten lnformationsnetz mit abgeschirmten Großrechnern, zu denen nur Privilegierte Zugang hatten, ist ein öffentliches Netz geworden, in dem jeder Datenempfänger und -sender werden kann.
Eine weitere technische Errungenschaft ist die Simulation von künstlichen Welten, die man dreidimensional erfahren kann. Künstliche Räume werden auch virtuelle Realität oder Cyberspace genannt. Angewendet wird diese Technik z. B. bei der Flugsimulation, der Medizin (insb. der Chirurgie), der Architektur, dem Ausstellungswesen und natürlich bei Computerspielen. Eine recht junge Internet-Anwendung ist das World Wide Web (WWW/"Welt-Weite-Netz"). Im WWW können Nachrichten verbreitet werden. Dabei bestehen die Seiten aus Text, Grafik, Sounds und Videoclips. Das WWW sorgt für einen für Windows-Anwender schnellen und einfachen Umgang mit lnternetdaten. Im Word Wide Web wird der lnformationssuchende mit Hilfe von Querverweisen (links) in Form von farbig hervorgehobenen Textstellen und Themenübersichten von einem Dokument, von einem Rechner und unmerklich von einem Kontinent zum anderen geleitet. Die Simulation künstlicher Räume und das Word Wide Web haben das Internet revolutioniert und für weitere und neue Nutzerkreise interessant werden lassen. Spezielle Navigatorionsprogramme (Browser) erleichtern das Arbeiten im Netz. Die Browser sind ebenfalls mit grafischen Benutzungsoberflächen versehen.
Online-Anbieter (Provider) wie T-Online, Compuserve oder American-Online bieten heute einen direkten Zugang zum Internet. Spezielle Suchprogramme helfen dem Internet-Surfer, die gesuchte Information - egal, in welchem Land sie gespeichert ist - zu finden.
Bereits heute sind mehr als 25 Millionen Menschen Nutzer des Internet, und täglich kommen zigtausende hinzu. Mehr als neun Millionen Computer sind weltweit per Telefon- oder Datenleitung miteinander verbunden. Die Datenmenge, die täglich ausgetauscht wird, übertrifft inzwischen das gesamte Wissen, das der Menschheit im 19. Jahrhundert zur Verfügung stand.
1.3 Internet-Angebote in den USA
Im Zusammenhang mit dem Entwicklungsstand der lnformationsgesellschaft wird gern auf das Internet-Angebot in den USA hingewiesen und darauf, daß hier die USA Deutschland um 10 - 15 Jahre voraus ist. Es lohnt sich also, einmal einen Blick über den Teich zu werfen: In den USA können die Internet-Kunden bereits bei einigen hundert Firmen Shopping gehen. Der Renner ist der Pizzaservice. Flugtickets werden am häufigsten im Internet verkauft. Bücher, Zeitungen und Zeitschriften werden elektronisch via Netz auf die Bildschirme gebannt, und lokale Händler bieten sich dem weltweiten Publikum als Versandhandel an. Bevor man sich CDs bestellt, kann man sie bei einem Versandhaus vorher probehören. Banken, Versicherungen und lmmobilienmakler preisen ihre Spekulationsobjekte über das Internet an. Gebrauchtwagen sind ebenfalls im Internet zu finden, und die Softwarebranche verkauft Programme online. Rund 200 Großunternehmen sind mit Online-Angeboten im Word Wide Web vertreten. In diesem Jahr sollen noch einmal 200 dazukommen.
Die weltweite Kundschaft lockt die Unternehmen und damit das Geld ins Internet. Visionäre malen die lnternetzukunft für die dort Investierenden in rosigen Farben. Im großen und ganzen ist das Internet jedoch immer noch die wichtigste Grundlage für einen weltumspannenden Informationsaustausch geblieben. Bei diesem elektronischen Informationsaustausch sind die US-Amerikaner Spitzenreiter: Dort gehört Email als ,,Postversandart" zur Selbstverständlichkeit in den Unternehmen.
1.4 Das deutsche Internet-Angebot
In Deutschland sind die Unternehmen nur zögernd bereit, das Internet für die Vermarktung ihrer Produkte und Dienstleistungen zu nutzen. Allerdings gibt es bei T-Online im Gegensatz zum Internet bereits attraktive Angebote, die auch von Blinden und Sehbehinderten genutzt werden.
Hier steht das Computerbanking an erster Stelle, gefolgt von Informationsangeboten wie der Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn. T-Online hat inzwischen über 1 Million Anschlüsse und wöchentlich kommen - so Telekom - bis 8.000 neue hinzu. Ende 1997 sollen bereits 8 Millionen Bundesbürger einen Zugang zu einem Datendienst haben. In Deutschland konkurrieren Anbieter wie z. B. AOL (American Online) und Compuserve miteinander. Damit der Umsatz im Internet aber erst so richtig boomen kann, sind noch einige Unwägbarkeiten aus dem Weg bzw. von den Datenautobahnen zu räumen, denn allzu oft werden die Daten noch auf langsamen "Landstraßen" bewegt. Weitere Probleme sind der Datenschutz und der Geldtransfer im Internet. Es ist allerdings denkbar, daß schon bald Werteinheiten verpackt in Dateien von einer Festplatte zur anderen überwiesen und Daten durch Verschlüsselung besser geschützt werden können.
1.5 Blinde und Sehbehinderte im Internet
Noch können Blinde und Sehbehinderte die Online-Dienste mit herkömmlichen DOS-Kommunikationsprogrammen unter Verwendung von Sprachausgabe, Braillezeile und Vergrößerungssystemen nutzen. Dabei können bei der lnformationssuche und -übertragung Grafik, Bilder und Videosequenzen aus dem Internet unterdrückt werden. Viele Anwender schalten die Darstellung von Grafiken bewußt aus, um einen schnelleren Bildaufbau sowie eine schnellere Datenübertragung zu erreichen. Die Grenzen der Nutzung von T-Online und dem Internet beginnen spätestens dort, wo der reine Text gegenüber multimedialen Darstellungen, also in Form von Bildern, Videos und virtuellen Welten, in den Hintergrund tritt. Insbesondere der spezielle von Telekom entwickelte Grafikstandard KIT, läßt sich nicht in Sprache und Braille umsetzen. Ein Zugang zu den grafischen Teilen von Internet und T-Online mit Hilfe der Navigationsprogramme ist mit den speziellen Windowslösungen für Blinde möglich.
III Was sich da herausbildet, wird ,,Informationsgesellschaft" genannt
1. Die Informationsgesellschaft
Internet und Multimedia sind zwei der Erscheinungsformen der sich zur
Zeit entfaltenden Informationsgesellschaft. Der Begriff
"Informationsgesellschaft" wurde bereits in den 70er Jahren von
Soziologen geprägt. Kennzeichnend für die
lnformationsgesellschaft ist insbesondere der
kommunikationstechnische Ausbau der Massenmedien (Fernsehen), das
massenhafte Angebot multimedialer Speichermedien (CDs), die
massenhafte Verbreitung des PCs in den privaten Haushalten und nicht
zuletzt die weltweite Vernetzung der Computer. Von gesellschaftlicher
Bedeutung ist, daß zu den Medienangeboten keine
Einbahnstraßen mehr führen, sondern daß die
Vernetzung die Rückkoppelung zwischen Veranstalter und
Konsumenten möglich macht. Der Computer wird in Verbindung mit
Modem und Telefon vom Werkzeug zum Medium. Die Datenverarbeitung wird
zur lnformationsverarbeitung.
Die Datennetze schaffen die Grundlage für ganz neue Verfahrensweisen und Anwendungen in der Produktion, im Dienstleistungsbereich, in der Bildung und Freizeit. Mit der fortschreitenden Vernetzung verändern sich im Bewußtsein der Menschen auch Zeit, Raum und die Verfügbarkeit über die menschliche Arbeitskraft. Im Klartext heißt dies, daß viele Tätigkeiten unabhängig von den Standorten der Unternehmen über größte Entfernungen hinweg schnellstens durchgeführt werden können. Das Arbeiten im Netz und das Verarbeiten von multimedialen Informationen bewirken eine ganz andere Art der lnformationsaufnahme und -verarbeitung. Multimediale Darbietungen beschleunigen unter Umständen die Bildungsaufnahme; sie können aber auch zu verkürzten, recht oberflächlichen Betrachtungsweisen führen, denn Bilder lassen der Phantasie weniger Raum als nackter Text, der zu weiterem Nachdenken auffordern kann.
Der Mensch wird bewußt lernen müssen, die unterschiedlichen medialen Informationsangebote zu filtern, den Gebrauch der Medien zeitökonomisch zu steuern und kritisch zu mixen. Er wird sich jeweils entscheiden müssen, wann und ob er Fernseher, Telefon, oder PC zur Information nutzt oder sich eher Zeitungen, Zeitschriften, Büchern oder dem lebendigen Zeitgenossen zuwendet. Der Mensch in der lnformationsgesellschaft benötigt demnach neue Qualifikationen, die die Voraussetzungen für den effizienten Einsatz mit den neuen Medien - dem richtigen "Medien-Mix" - schaffen. Eine informationstechnische Grundbildung wird künftig eine Voraussetzung für die Beherrschung der neuen Kulturtechnik und eine Schlüsselqualifikation für den beruflichen Erfolg und zur allgemeinen Lebensbewältigung sein. Welche Fähigkeiten Blinde und stark Sehbehinderte in der lnformationsgesellschaft neu erlernen müssen, hängt entscheidend auch davon ab, welche technischen Möglichkeiten ihnen gegeben sein werden und - was viel entscheidender ist - inwieweit die Gesellschaft bereit ist, behindertenspezifische lnformationszugänge und -aufbereitungen zu akzeptieren.
Die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen in der lnformationsgesellschaft können dazu führen, daß eine chancengleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben blinder und sehbehinderter Menschen erheblich erschwert wird. So besteht die Gefahr, daß viele zwischenmenschliche Beziehungen durch "Netzbeziehungen" anonymer User ersetzt werden. Dies kann sich nachhaltig auf die Sozialkompetenz der Menschen auswirken, da die gesellschaftlichen Bedingungen die Möglichkeit der Menschen prägen, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können. Diese Gabe der Menschen ist die Grundlage für solidarisches Handeln - auch und gerade gegenüber behinderten Mitmenschen.
2 Einige Zukunftsvisionen
Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftsminister, unterstützt von einigen Publizisten, sehen im Internet ein weltumspannendes Medium entstehen, das jeden Menschen erreichen kann und weltweit neue Absatzmärkte erschließen wird. Bei aller Skepsis vieler Verbraucher wird schließlich der vielzitierte Markt entscheiden, wohin die Entwicklung in der lnformationsgesellschaft gehen wird. Die möglichen Rationalisierungseffekte im Produktions- und Dienstleistungssektor sind derart überzeugend, daß die Befürchtungen vor negativen Folgen für Arbeitsplätze und soziale Beziehungen in den Hintergrund treten könnten. So können im Produktionsbereich durch Teamarbeit am Computer über räumliche Entfernungen hinweg Zeit und Transportwege und damit Personal eingespart werden. Allein bei VW rechnet man mit Einsparungen von 50 Prozent, wenn es dort zum verstärkten Einsatz von Telekommunikationsanwendungen käme. Am Beispiel der elektronischen Post wird klar, wie ein sehr aufwendiger Prozeß - nämlich der herkömmliche Briefversand - zu einem Kinderspiel wird. Der elektronische Briefversand - Email - wird vom PC aus mit nur wenigen ,,Mausklicken" realisiert. Derartige Rationalisierungsprozesse können fast jede Dienstleistung ergreifen. Das virtuelle Kaufhaus ist dann nur noch eine Frage der Zeit, und der Kunde selbst wird dann eines Tages die nette Verkäuferin durch Computershopping ersetzen.
3 Veränderungen in der Arbeitswelt
Die Multimediaentwicklung wird die Bildschirmarbeit zur Regel machen. Experten sagen voraus, daß die Verknüpfung von lnhausnetzen der Unternehmen mit den globalen Netzen - sog. Intranets - eine große Zukunft haben. Sichere lntranets sind eine Voraussetzung für die Ausdehnung von Telearbeit. In Deutschland gibt es derzeit ca. 150.000 Telearbeitsplätze, was allerdings alle Arbeitsplätze einschließt, bei denen nur einmal in der Woche zu Hause geschaffen wird. Die EU-Kommission schätzt, daß es im Jahre 2000 2,5 Millionen Telearbeitsplätze durch Auslagerung und Dezentralisierung von Arbeit geben wird. Dabei ist zwischen Telearbeitsplätzen in Satellitenbüros und solchen zu unterscheiden, die zu Hause installiert sind (Teleheimarbeitsplätze). Letztere machen je nach Definition z. Z. nur 3.000 aus.
3.1 Telearbeit in Europa
Wie bei vielen gesellschaftlichen Entwicklungen, so liegen auch bei einer Beschäftigung auf Teleheimarbeitsplätzen die Chancen und Risiken nahe beieinander. Durch Teleheimarbeit wird die örtliche Trennung von Arbeit und Wohnen überwunden und die Grenzen zur Freizeit werden fließend. Die Heimarbeit fördert die Motivation der Beschäftigten. Es besteht aber auch die Gefahr der Vereinsamung der Teleworker und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in häuslicher und familiärer Umgebung durch einen möglichen Verlust arbeitsrechtlicher und sozialer Absicherung. So wird allgemein befürchtet, daß der Trend zu befristeter und Teilzeitarbeit und zum "Zeit-Job" zunehmen wird, was für Behinderte nicht gerade zum Vorteil wäre.
Für die Gewerkschaften kommt die Teleheimarbeit nur in Form von sozialversicherungspflichtigen und tariflich geregelten Arbeitsverhältnissen in Frage. Die bisher bestehenden Tarifverträge sehen u. a. vor, daß die Teleworker tageweise im Betrieb zu arbeiten haben, um die innerbetriebliche Kommunikation und die sozialen Bindungen zu gewährleisten. Aber auch, wenn die Rahmenbedingungen für Blinde und Sehbehinderte für Telearbeit optimal geregelt wären, muß sich noch herausstellen, ob die dort zu verarbeitenden Daten blindengerecht aufbereitet werden können. Schon heute stellt sich das Problem, daß bei vernetzten Computersystemen der Zugang zu den eigentlichen Daten durch besondere sog. Firmen- und Branchenlösungen sowie durch die Reduzierung von Textdokumenten zugunsten von Bilddokumenten für Blinde und Sehbehinderte massiv erschwert wird.
Im gemeinsamen Fachausschuß für lnformationstechnik der Blinden und Sehbehindertenverbände (FIT) ist das Für und Wider von Teleheimarbeit für Blinde und Sehbehinderte erstmals diskutiert worden. Als positiv - so das erste Fazit - können die Wohnortgebundenheit, die Arbeitszeitflexibilität und die notwendige umfassende technische Ausstattung am heimischen Arbeitsplatz angesehen werden. Negativ schlägt jedoch die Isolation von Kolleginnen und Kollegen und von der betrieblichen Interessenvertretung und einer eventuell erforderlichen Betreuung zu Buche. Des weiteren stellt sich die Frage, ob überhaupt Behinderte einen Teleheimarbeitsplatz erhalten, wenn sie in der betrieblichen Öffentlichkeit und damit im Bewußtsein der betrieblichen Entscheider nicht mehr auftauchen. Der Fachausschuß für lnformationstechnik hat das Thema ,,Multimedia und Netze" zu seinem neuen Schwerpunktthema erklärt. Der FIT kann sich allerdings nur mit den technischen Problemen befassen, die mit der Herausbildung der Informationsgesellschaft auf uns zukommen. Die Vielfältigkeit der Veränderungen im politischen, sozialen und rechlichen Raum müssen von anderen Expertengremien der Verbände aufgegriffen und von der Mitgliedschaft breit diskutiert werden.
3 Die Veränderungen im Aus- und Fortbildungswesen
Im Aus- und Fortbildungswesen wird sich die Sachmittelausstattung auf die informationstechnische Infrastruktur verlagern. Wie das aussieht, wird uns bereits heute beispielhaft von der Deutschen Post AG vorgeführt. Die Post AG bietet ihren Beschäftigten in sog. Clip-Stationen multimediale Fortbildungskurse an. Ausgangspunkt dieser Angebote ist die Erkenntnis, daß Lernen immer dann die höchste Effizienz hat, wenn mehrere Wahrnehmungskanäle des Menschen angesprochen werden. Der Computer verbindet in Lernprogrammen Bild, Ton, Text, Videoclips und Übungen mit Ergebniskontrollen. Die Lernprogramme sind didaktisch so aufbereitet, daß der Lernende immer wieder zu neuer Aktivität animiert wird - zum "learning by doing". An diesem Beispiel wird klar, daß Blinden und Sehbehinderten auch der direkte Zugang zu computergestützten multimedialen Bildungsangeboten "verbaut" ist. Die Eröffnung neuer Lernwege durch den Computer verstärkt den Trend zu privaten Bildungsangeboten, die kaum Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse Blinder und Sehbehinderter nehmen werden. Bereits jetzt gibt es eine unübersehbare Flut von Computerlernprogrammen auf Disketten und CD-ROM, deren pädagogischer Wert schwer einzuschätzen ist.
IV Was ist zu tun?
Oberstes Gebot: Die Informationsgesellschaft muß jetzt mitgestaltet werden! Die Gestaltung der interaktiven Mediensysteme ist keine Aufgabe, die man der Industrie allein überlassen darf, denn sie setzt allein auf Innovationen, die zu schnellen Gewinnen führen sollen. So zielen heute die meisten Telekommunikations- und Medienangebote allein auf Unterhaltung ab, obwohl Untersuchungen ergeben haben, daß es den Bürgern vielmehr um Informationsbeschaffung als um neu verpackte Bildschirmunterhaltung geht.
Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, hat in gewerkschaftlichen Gremien, in Parteien und wissenschaftlichen Zirkeln und in einer Enquetekommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien" die Diskussion über die Gestaltung der Informationsgesellschaft längst begonnen. Es ist an der Zeit, daß sich auch die Blinden- und Sehbehindertenverbände mit der gesamten Bandbreite der auf sie zukommenden technischen und gesellschaftlichen Probleme befassen und sich mit den Medienpapieren von Parteien, Gewerkschaften und den Entwürfen zur Mediengesetzgebung auseinandersetzen. Ich sehe u. a. folgende Bereiche, die von uns diskutiert werden müssen:
1. Die verbindliche Regelung der technischen Voraussetzungen für den Zugang zu Onlineinformationen Blinder und Sehbehinderter, die Provider und Arbeitgeber zu erfüllen haben, gehört zur garantierten Grundversorgung mit Informationen aller Bürger.
2. Das Diskriminierungsverbot muß bedeuten, daß entsprechende Gestaltungsanforderungen in die Zulassungsbedingungen für Endgeräte und Netzbetreiber aufgenommen werden, sowohl für Hard- wie auch für die Software. Das setzt allerdings auch voraus, daß die Fachausschüsse der Verbände die Anforderungen hierfür nach neuesten technischen Erkenntnissen aus Anwendersicht ausarbeiten.
3. Eine öffentlich-rechtliche Grundversorgung durch Angebote im Internet - wie bei Rundfunk und Fernsehen - ist auch in unserem Interesse, allerdings mit der Zusatzforderung, daß die Grundversorgung auch blinden- und sehbehindertengerecht erfolgen muß.
4. Anbieter müssen verpflichtet werden, den Informationsgehalt ihrer Multimediadarbietungen in Text und Sprache so zu vermitteln, daß die Inhalte auch von Blinden und Sehbehinderten verstanden werden können; Werbespots müssen klar von sachlicher Produktinformation getrennt und gekennzeichnet sein.
5. Der blinden- und sehbehindertenspezifische Zugang zu Informationen, die nur noch mit Grafikdecodern zu empfangen sind, ist zu gewährleisten.
6. Die Finanzierung von Pilotprojekten hinsichtlich der Folgenabschätzung für Blinde und Sehbehinderte sollte aus einer Medienabgabe der privaten Netzanbieter und -betreiber erfolgen.
7. Es ist zu überlegen, ob die Krankenkassen in Zukunft über die Textlese- und Bildschirmlesegeräte hinaus auch eine Technik für den speziellen Zugang zu CD-ROM und den Netzen zu finanzieren haben - wie z. B. die speziellen Windows- lösungen, die es derzeit bereits für Blinde gibt. Auch für diese Zusatzkosten der Krankenkassen könnten die Netzanbieter und -betreiber zur Finanzierung herangezogen werden, ähnlich wie bei der Ausgleichsabgabe, die Unternehmen zu zahlen haben, die die Beschäftigungsquote Schwerbehinderter nicht erfüllen.
8. Für Multimedia-Pilotprojekte und Modellversuche zur Telekooperation und Telearbeit müssen nicht nur die entsprechenden Mittel bereitgestellt werden, sie müssen auch unter dem Aspekt eines adäquaten Behindertenzugangs durchgeführt werden.
9. Mit den Gewerkschaften sind besondere Regelungen zu erarbeiten, die die behindertenspezifischen Voraussetzungen für Telearbeit berücksichtigen. Diese sollen dann Eingang in die Tarifverträge finden. Dies könnte z.B. bedeuten, daß Telearbeitsplätze nach Möglichkeit nur in Satellitenbüros, in denen gemeinsame Teams arbeiten, für Blinde und Sehbehinderte eingerichtet werden.
IV Fazit:
Zur Durchsetzung unserer Interessen in der sich entfaltenden lnformationsgesellschaft und vor dem Hintergrund der staatlichen Sparorgien brauchen wir neue Strategien und Bündnispartner. Allein werden wir unsere speziellen Bedürfnisse nicht durchsetzen können. Insbesondere die existentiellen Auswirkungen, die die neuen Telekomunikationstechniken auf die Arbeitswelt haben werden, stellen die Beschäftigungsmöglichkeiten Blinder und Sehbehinderter in Frage. Wenn es nicht gelingt, Antidiskriminierungsmechanismen zu entwickeln, die über reine Floskeln hinausgehen, dann werden Blinde und stark Sehbehinderte nicht nur zu informationsarmen Bürgern, sondern auf Dauer auch zu den arbeitslosen und armen Bürgern der sich abzeichnenden Informationsgesellschaft gehören.
A. Zielsetzung
Der vorliegende Entwurf nimmt die weitreichenden Veränderungen der Informations- und Kommunikationstechnologien auf und dient dem Ziel, die gleichberechtigte Teilhabe Blinder und Sehbehinderter an der sich abzeichnenden Informations- und Kommunikationsgesellschaft zu bewirken.
Schon bisher arbeiten auch blinde und sehbehinderte Menschen am Computer. Mit Hilfe technischer Zusatzausstattungen wie Sprachausgabe, Braillezeile oder Großschriftsystem können sie bereits bisher über den Computer zugängliche Texte eigenstädig und ohne weitere Hilfen aufnehmen und verarbeiten oder auf diesem Weg an andere weitergeben. Hierbei eröffnen insbesondere die zahlreichen neuen elektronischen Medien in Gestalt von CD-ROM-Datenträgern sowie durch Online-Dienste oder unmittelbar über das Internet abrufbaren Informationsquellen auch und gerade für Blinde und Sehbehinderte neue Chancen und Möglichkeiten, indem sie es ihnen erlauben, eine Fülle bisher nur mühsam erschließbarer gedruckter Informationsquellen zukünftig ohne große Schwierigkeiten selbst und eigenständig sich zugänglich zu machen. Hierzu zählen nicht zuletzt wegen ihrer zunehmenden Bedeutung insbesondere elektronische Tageszeitungen, Online-Zugang zu Bibliotheken, elektronische Nachschlagewerke und Fachliteratur, Angebote von Waren- und Dienstleistungen aus elektronischen Datenbanken mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit, Homebanking und die vielfältigen Möglichkeiten der Information über das Internet.
Den sich abzeichnenden Chancen und Erleichterungen der Lage Blinder und Sehbehinderter stehen indes in gleicher Weise drohende Benachteiligen und weitreichende Ausgrenzungen mit gravierenden Konsequenzen gegenüber. Denn die multimediale Ausgestalung dieser Informationsquellen, die auf graphische Benutzeroberflächen, die Verbindung von Text mit Graphiken, Bildern, Tönen und Videoseqeunzen sowie der Bedienung durch Mausklick angelegt sind, kann von Sprachausgaben, Braillezeilen oder Großschriftsystemen nicht oder allenfalls nur völlig ungenügend umgesetzt werden. Und dies, obwohl schon wenige und in der Regel ohne größeren Aufwand umsetzbare Anforderungen bei der Erstellung und Aufbereitung der Information Blinden und Sehbehinderten die Nutzung dieser neuen Medien ermöglichen würde. Zur Erreichung dieses Zieles bedarf es daher einer einheitlichen gesetzlichen Regelung, die einerseits den Zugang und die Nutzungsmöglichkeit sichert und andererseits für gleiche Rahmenbedingungen der Anbieter sorgt. Der vorliegende Entwurf fügt sich deshalb in den von der Bundesregierung vorgelegten und am 19. April 1997 im Bundestag bereits in erster Lesung behandelten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste - Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz - (Mulitimedia-Gesetz) bündig ein, dessen Aufgabe es ist, eine Regelung zu schaffen, durch die ein funktionsgerechter Wettbewerb ermöglicht, die Nutzerbedürfnisse beachtet und die öffentlichen Interessen gewahrt werden (BRat Drs. 966/96). Ziel des Entwurf eines Gesetzes über den gleichen und ungehinderten Zugang zu Telediensten ist es hierbei, auch Blinden und Sehbehinderten die gleichberechtigte Teilhabe und den eigenständigen Zugang zu den Chancen und Möglichkeiten der sich entwickelnden Informations- und Kommunikationsgesellschaft zu gewähren.
B. Lösung
Das mit dem vorliegenden Entwurf verfolgte das Ziel, Blinden und Sehbehinderten drohende Informationsnachteile zu verhindern und ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe an den neuen Informationsmöglichkeiten zu gewähren, wird durch eine den Anbietern von Telediensten aufzuerlegende Pflicht zur blinden- und sehbehindertengerechten Gestaltung ihrer Informationsangebote (§ 1 Abs. 1 S. 1) verwirklicht.
Die im einzelnen zu beachtenden Anforderungen bleiben der Umsetzung durch eine Rechtsverordnung vorbehalten, die der jeweiligen technischen Entwicklung anzupassen und entsprechend fortzuschreiben ist (§ 1 Abs. 1 Satz 2). Inhalt und Umfang der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich vorgesehenen Pflicht zur blinden- und sehbehindertengerechten Ausgestaltung der Informationsangebote werden für natürliche und juristische Personen des Privatrechts durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszurichtenden und auf einer Güterabwägung zwischen den Belangen und Erfordernissen der Blinden und Sehbehinderten sowie möglichen gegenläufigen Interessen der Anbieter beruhenden Zumutbarkeitsregelung präzisiert, die im Einzelfall Ausnahmen zuläßt (§ 1 Abs. 2). Inhalte mit überwiegend privatem Charakter werden von vornherein von der Pflicht des § 1 Abs. 1 Satz 1 ausgenommen (§ 1 Abs. 3).
Die Einhaltung der von § 1 Abs. 1 und 2 vorgesehenen und durch Rechtsverordnung konkretisierten Pflicht wird durch die nach § 66 des Telekommunikationsgesetzes ohnehin zu schaffende Behörde überwacht und gegebenfalls durchgesetzt (§ 2 Abs. 1).
§ 3 eröffnet auch den Verbänden und Vereinigungen der Blinden und Sehbehinderten die Möglichkeit der Klage und § 4 sieht ihre jeweilige Anhörung vor Erlaß und Änderung der erforderlichen Rechtsverordnung vor.
§ 5 schließlich gestaltet die Nichtbeachtung der Pflicht des § 1 Abs. 1 und 2 als Ordnungswidrigkeit aus.
C. Alternativen
Keine
D. Kosten
Die anfallenden Kosten sind gering. Die Beachtung der Pflicht des § 1 Abs. 1 und 2 wird den Anbietern von Telediensten bereits durch das Gesetz auferlegt und kann von diesen regelmäßig ohne größeren Aufwand umgesetzt werden. Kosten können hinsichtlich der Aufgaben, der für die Einhaltung des Gesetzes zuständigen Behörde entstehen und fallen nicht weiter ins Gewicht, zumal es sich um eine ohnehin im Rahmen der Informations- und Kommunikationsdienste tätig werdende Behörde handelt.
(Art. 1a des Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste - Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz / IuKDG)
§ 1
(1) Die Anbieter elektronischer Informations- und Kommunikationsdienste im Sinne von § 2 des Teledienstgesetzes (Anbieter von Telediensten) sind verpflichtet, ihre Dienste so anzubieten, daß sie für Blinde und Sehbehinderte nutzbar sind. Die hierbei zu beachtenden Anforderungen werden durch Rechtsverordnung bestimmt, die der jeweiligen technischen Entwicklung anzupassen ist.
(2) Für privat-rechtliche Anbieter besteht die Pflicht des Abs. 1 ausnahmsweise dann nicht, wenn und soweit ihre Beachtung nach den besonderen Umständen des Einzelfalls eine unzumutbare Härte darstellen würde. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist vom Anbieter nachzuweisen. Grundsätzlich gebührt den Belangen der Blinden und Sehbehinderten der Vorrang.
(3) Die Pflicht des Abs. 1 gilt nicht für Inhalte mit überwiegend privatem Charakter.
§ 2
(1) Die Einhaltung der Bestimmungen des § 1 wird durch die nach § 66 des Telekommunikationsgesetzes zuständige Behörde überwacht.
(2) Stellt die nach § 66 des Telekommunikationsgesetzes zuständige Behörde einen Verstoß gegen die Bestimmungen des § 1 fest, trifft sie die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter. Sie kann insbesondere Maßnahmen zur Sicherung eines gleichen und ungehinderten Zugangs gemäß der Vorschrift des § 1 treffen und im Fall ihrer Nichtbeachtung Angebote untersagen und deren Sperrung anordnen. Eine Untersagung darf nur erfolgen, wenn ihr Zweck nicht in anderer Weise erreicht werden kann. Die Untersagung darf nicht erfolgen, wenn die Maßnahme außer Verhältnis zur Bedeutung des Angebots für den Anbieter und die Allgemeinheit steht.
(3) Die Pflichten der nach Abs. 1 zuständigen Behörde bestehen auch im Interesse des einzelnen Nutzers.
§ 3
Für die Verbände und Vereinigungen der Blinden und Sehbehinderten besteht die Möglichkeit der Verbandsklage.
§ 4
Die Bundesregierung wird ermächtigt, die nach § 1 Abs. 1 Satz 2 erforderliche Rechtsverordnung zu erlassen. Vor einer Änderung sind die Verbände und Vereinigungen der Blinden und Sehbehinderten anzuhören.
§ 5
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig elektronische Informations- und Kommunikationsdienste anbietet, ohne der Pflicht aus § 1 Abs. 1 und 2 zu entsprechen.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Deutsche Mark geahndet werden.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Ausgangslage
Elektronische Medien in Gestalt von CD-ROM-Datenträgern, Online-Diensten oder direkt über das Internet abrufbaren Informationsquellen gewinnen bei der Informationsbeschaffung in Gesellschaft, Beruf und Freizeit an zunehmender Bedeutung. Für Blinde und Sehbehinderte haben auf elektronischen Datenträgern abgelegte Informationen den Vorteil, daß diese unmittelbar und ohne fremde Hilfe mit entsprechenden Hilfsmitteln (Braillezeile, Sprachausgabe, Vergrößerungssystem) über den Computer erfaßt und verarbeitet werden können. Ein uneingeschränkter Zugriff auf Informationsmedien wie elektronische Tageszeitungen, Online-Zugang zu Bibliotheken, elektronische Nachschlagewerke und Fachliteratur, Angebote von Waren- und Dienstleistungen aus elektronischen Datenbanken mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit, Homebanking und die vielfältigen Möglichkeiten der Information über das Internet kann heute zum Großteil auch von blinden und sehbehinderten PC-Nutzern erfolgen, vorausgesetzt diese Informationen liegen auch als reine Textdokumente (etwa im ASCII-, ANSI- oder HTML-Format) vor. Erschwert wird der gleichberechtigte Zugang zu Informationen für Blinde und Sehbehinderte dann, wenn Inforamtionen vorwiegend in multimedialer Form dargeboten werden und wenn Texte als Bitmaps (Bilder) präsentiert und graphische Elemente (Rahmen, Animationen) das Lesen von Dokumenten erschweren bzw. unmöglich machen und sich Programme nur mehr über Mausklick und nicht mehr auch über Tastaturbefehle steuern lassen.
Ziel des Gesetzes
Das Ziel des Gesetzes ist es daher, durch eine Pflicht zur blinden- und sehbehindertengerechten Ausgestaltung elektronischer Informationsangebote im Bereich der Teledienste auch Blinden und Sehbehinderten die gleichberechtigte Teilhabe und den eigenständigen Zugang zu den Chancen und Möglichkeiten der sich entwickelnden Informations- und Kommunikationsgesellschaft zu gewähren.
Eine Beachtung dieser Pflicht ist in aller Regel schon durch wenige und ohne größeren technischen Aufwand umsetzbare Anforderungen bei der Erstellung und Aufbereitung der Information sowie der Art ihrer Vorhaltung zu erreichen. Eine Verwiklichung dieses Gebots läßt sich auf zweifache Weise erzielen: Zum einen ist es möglich, Angebote so zu gestalten, daß sie auch für Blinde und Sehbehinderte mit den entsprechenden Hilfsmitteln wie Sprachausgabe, Braillezeile oder Großschriftsystem zugänglich sind, etwa indem sie sich auch über Tastaturbefehle steuern lassen und graphische sowie auditive Elemente mit zusätzlichen Textinformationen versehen werden, die auf das äußere Erscheinungsbild eines Angebots regelmäßig ohne Einfluß bleiben. Zum anderen bleibt es jedem Anwender überlassen, stattdessen einen gesonderten Zugang für Blinde und Sehbehinderte vorzusehen, der eine ausschließliche Nutzung der in Textform vorgehaltenen Informationen ermöglicht und eine entsprechende Bedienung durch den Nutzer vorsieht. Beide Wege sind technisch möglich und lassen sich bereits gegenwärtig ohne größeren technischen Aufwand verwirklichen.
Einzelheiten sollen in einer Rechtsverordnung jeweils konkretisiert werden und lassen sich auf diese Weise fortlaufend der weiteren Etnwicklung anpassen.
Notwendigkeit eines Gesetzes
Ohne gesetzlich geregelte Auflagen besteht die Gefahr, daß die Gruppe der Blinden und Sehbehinderten von der gesellschaftlichen Entwicklung abgeschnitten wird und gegenüber dem Rest der Bevölkerung weiter ins Hintertreffen gerät. Daher ist ein Gesetz über den gleichen und ungehinderten Zugang zu Telediensten für Blinde und Sehbehinderte notwendig, weil im Rahmen der Informationsgesellschaft gerade die ungehinderte Informationsbeschaffung einen wesentlichen Bestandteil der Chancengleichheit darstellt.
Behinderte Menschen machen einen nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft aus und sehen sich einer Vielzahl von Beeinträchtigungen gegenüber, die sie an der Erlangung der Chancengleichheit hindert. So ist auch das Hauptanliegen der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 27. Dez. 1993 verabschiedeten Rahmenbedingungen für die Herstellung der Chancengleichheit für Behinderte dafür zu sorgen, daß alle behinderten Menschen die gleichen Rechte und Pflichten wie andere wahrnehmen können. Diese Rahmenbestimmungen erfordern innerhalb der Staaten Maßnahmen, die den Grundsatz der Chancengleichheit fördern.
Im Multimedialenbereich ist eine gesetzgeberische Maßnahme unverzichtbar, weil gerade hier Informationen erlangt werden können, die zur Teilnahme an der Informationsgesellschaft, sei es im Bereich von Gesellschaft, Beruf oder Freizeit, notwendig sind. Eine Benachteiligung in der Beschaffung der Information hätte notwendigerweise die Ausgrenzung aus der Informationsgesellschaft zur Folge. Dieser Gesetzentwurf setzt daher für den Bereich der Teledienste das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG um und konkretisiert das aus aus dieser Vorschrift sich ergebende Gebot zur Verwirklichung der Chancengleichheit, bei dem es sich in einem sozialen und demokratischen Rechtsstaat um einen zentralen Wert mit hohem Verfassungsrang handelt. Zugleich wird den Grundrechten der Informations- und Kommunikationsfreiheit im Sinne des Art. 5 Absatz 1 Satz 1 GG Rechnung getragen.
Vorbildfunktion für eine zukünftige europäische Gesetzgebung
Darüber hinaus hat der vorgelegte Gesetzentwurf zugleich eine Vorbildfunktion für eine zukünftige europäische Gesetzgebung.
Besonderer Teil
Zu § 1
Zu Absatz 1
Hier soll zum einen der Kreis der Pflichtigen bestimmt werden als auch die Pflicht selbst genannt werden. Von Absatz 1 ist grundsätzlich jeder betroffen, der unter § 2 des Teledienstgesetzes fällt. Inhalt der Pflicht ist es, die Dienste so anzubieten, daß sie auch von Blinden und Sehbehinderten genutzt werden können. Durch die Pflicht soll ein besserer Informationszugang hergestellt werden. Bis jetzt sind lediglich Blinde und Sehbehinderte genannt. Vorstellbar ist jedoch, daß auch andere Behindertengruppen, für die ein ihrer Behinderung entsprechender Zugang erforderlich ist, ebenfalls genannt werden oder allgemein von Behinderten gesprochen wird. Entsprechende Anforderungen sind von den betroffenen Behindertengruppen selbst zu benennen. Die Pflicht ist nur generell genannt, die Dienste auch für Blinde und Sehbehinderte zugängig zu machen. Eine genaue Bestimmung erscheint hier nicht angezeigt, weil die technische Entwicklung die gesetzlichen Vorgaben sonst überholen würde. Daher ist hier eine generalklauselartige Formulierungl notwendig. Eine Konkretisierung erfolgt dann gemäß Satz 2 durch eine Rechtsverordnung. Diese durch die Verordnung aufgestellten Anforderungen orientieren sich an der jeweiligen technischen Entwicklung und sind an diese anzupassen. Hierbei richten sich die technischen Anforderungen einerseits nach dem Stand der Technik im Telekomunikations- und Computerbereich (Soft- und Hartware) und andererseits an den üblichen blinden- und sehbehindertenspezifischen Arbeitsweisen (Braillezeile, Sprachausgabe oder Großschriftsystem).
Zu Absatz 2
Die Pflicht des § 1 Abs. 1 besteht sowohl für öffentlich-rechtliche als auch für privat-rechtliche Anbieter. Für natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die nicht in Ausübung staatlicher Aufgaben handeln, sieht § 1 Abs. 2 die Möglichkeit einer Ausnahme von der Pflicht des § 1 Abs. 1 vor, wenn und soweit die Beachtung dieser Pflicht aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls eine unzumutbare Härte darstellen würde. § 1 Abs. 2 Satz 2 stellt klar, daß das Vorliegen der Voraussetzungen hierfür von dem jeweiligen Anbieter nachzuweisen ist. § 1 Abs. 2 Satz 3 macht deutlich, daß bei der hierbei vorzunehmenden Güterabwägung grundsätzlich den Belangen der Blinden und Sehbehinderten der Vorrang zu geben ist und Befreiungen nur ausnahmsweise zulässig sind. Hierbei sind neben der Art und der Bedeutung der Information sowie dem Angewiesensein von Blinden und Sehbehinderten gerade auf diese Art der Informationsaufnahme sowie auf seiten der Anbieter der zeitliche, personelle, organisatorische oder finanzielle Mehraufwand zu berücksichtigen, so daß jedenfalls bei kommerziell tätigen Anbietern eine Zumutbarkeit nur ausnahmsweise entfallen dürfte.
Zu Absatz 3
§ 1 Abs. 3 nimmt Angebote privater Anbieter, die nicht zu kommerziellen Zwecken erfolgen und einen überwiegend privaten Charakter aufweisen (private Home-Page) von der Pflicht des § 1 Abs. 1 aus. Soweit diese Gruppe von Anbietern überhaupt unter den Begriff der Anbieter von Telediensten im Sinne des § 2 Teledienstgesetz fallen, stellt § 1 Abs. 3 ausdrücklich klar, daß insoweit eine Beachtung der Pflicht des § 1 Abs. 1 ausschließlich freiwillig erfolgt. Dies entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zu § 2
Zu Absatz 1
Es ist erforderlich, daß die Bestimmungen des § 1 Absatz 1 von einer Behörde überwacht werden, um deren Einhaltung zu sichern. Zur Überwachung der Teledienste ist die nach § 66 des Telekommunikationsgesetzes einzurichtende Behörde für zuständig erklärt worden. Sie weist die größte Sachnähe zu der in § 1 geregelten Materie auf. Sie hat überdies die für Teledienste erforderliche Sachkenntnis und ist auch sonst im Rahmen des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes für zuständig erklärt worden (vgl. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur digitalen Signatur ). Diese Behörde verfügt über die notwendigen Informationen bezüglich der Teledienste, um gegenüber den Diensteanbietern einschreiten zu können, wenn die Bestimmungen des § 1 Abss 1 und 2 und der Rechtsverordnung nach § 4 mißachtet werden.
Zu Absatz 2
Absatz 2 führt die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen auf, die angewandt werden können, wenn die zuständige Behörde einen Verstoß gegen die in § 1 Absatz 1 i. V. m. den Vorschriften der Rechtsverordnung feststellt. Die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen werden darauf gerichtet sein, die in § 1 Absatz 1 i. V. m. der Rechtsverordnung festgelegten Pflichten in Form von Handlungsgeboten durchzusetzen. Damit die soeben beschriebenen Pflichten befolgt oder zumindest die Verwaltungsakte beachtet werden, ist die Möglichkeit der Untersagung der Angebote sowie deren Sperrung als ultima ratio eingeführt worden. Hinsichtlich der Untersagung und auch der Sperrung als Vollstreckungsmaßnahme gilt daher der Verhältnis-mäßigkeitsgrundsatz. Eine Untersagung kommt nur dann in Betracht, wenn der zuständigen Behörde keine andere Handlungsmöglichkeit mehr zur Verfügung steht. Darüber hinaus wird mittels des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Bedeutung eines Angebotes zu berücksichtigen sein.
Zu Absatz 3
Absatz 3 macht deutlich, daß die Behörde vor allem zugunsten der Blinden und Sehbehinderten tätig wird und daß ihnen eine Klagebefugnis im Sinne des § 42 Absatz 2 VwGO eingeräumt ist.
Zu § 3
Für die Verbände und Vereinigungen der Blinden und Sehbehinderten ist die Möglichkeit der Verbandsklage eingeführt worden, damit diese sich an Stelle der Blinden und Sehbehinderten an die zuständige Behörde wenden können. Diese Verbände haben die Sachkunde hinsichtlich der in § 1 und der Rechtsverordnung festgelegten Pflichten.
Zu § 4
Da zur Zeit nicht ersichtlich ist, welches Bundesministerium Aufsichtsbehörde über die nach § 66 des Telekommunikationsgesetzes zuständige Behörde sein wird, ist die Bundesregierung ermächtigt worden, die in § 1 genannte Rechtsverordnung zu erlassen. Der Inhalt der Rechtsverordnung wird durch die Anforderungen in § 1 dieses Gesetzes entsprechend Art. 80 Abs. 1 GG nach Zweck, Inhalt und Ausmaß bestimmt. Eine Anhörung der Verbände und Vereinigungen der Blinden und Sehbehinderten vor einer Änderung der Rechtsverordnung ist erforderlich, da sie die notwendigen Kenntnisse darüber haben, ob und wie die in der Rechtsverordnung festgelegten Pflichten modifiziert werden müssen und wie dies geschehen kann.
Zu § 5
§ 5 gestaltet die Nichtbeachtung der Pflicht des § 1 Abs. 1 und 2 als Ordnungswidrigkeit aus.