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Aus der DBSV-Rechtsabteilung

[Grafik: Eine Waage der Gerechtigkeit]

Kurzübersicht:

Aktuelles aus der DBSV-Rechtsabteilung

Gesundheitsreform und Hilfsmittelversorgung

In den Mitteilungen der Rechtsabteilung 4/2007 informiert Thomas Drerup über Regelungen zur Hilfsmittelversorgung, wie sie sich aus den Neuregelungen der Gesundheitsreform ergeben. Auf zwei Aspekte geht der DBSV Rechtsreferent nachstehend ausführlich ein:

Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurden auch mehrere Normen geändert, die die Versorgung mit Hilfsmitteln betreffen. Im Wesentlichen geht es hierbei um das Verhältnis zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern. Zu diesen gehören die Hilfsmittellieferanten, aber auch die Mobilitätstrainer und die Führhundschulen, die die Versicherten in den Gebrauch des Hilfsmittels "Langstock" oder "Blindenführhund" einweisen. Ob sich die neuen Regelungen für die blinden und sehbehinderten Versicherten positiv oder negativ auswirken, wird sich wohl erst nach praktischen Erfahrungen mit der Gesetzesanwendung bewerten lassen.

Zum Leistungsanspruch des Versicherten

Der Anspruch des Versicherten auf die Versorgung mit notwendigen medizinischen Hilfsmitteln ist in § 33 SGB V geregelt. In Abs. 1 wurde ein neuer Satz 2 eingefügt. Hierbei geht es um Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich bei Personen, die sich in stationärer Pflege befinden, und damit um einen Bereich, in dem es immer wieder zu Streitigkeiten gekommen ist. Nämlich darüber, welche Hilfsmittel von der Krankenkasse und welche vom Heimträger bereitzustellen sind. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Fall, in dem die Krankenkasse ein Bildschirmlesegerät mit der Begründung ablehnte, es sei bei einem auf die Pflege blinder Menschen spezialisierten Heim Aufgabe des Heimträgers, ein solches Gerät für die Gesamtheit der Heimbewohner vorzuhalten und das müsse genügen. Oder ein Rollstuhl wurde mit der Begründung abgelehnt, der Betreffende halte sich nur selten außerhalb des Heimes auf, weswegen das Hilfsmittel auch nur im geringen Umfang der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft diene. Jetzt ist im Gesetz klargestellt: "Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt."

Neu in § 33 Abs. 1 ist ferner eine Ergänzung desjenigen Satzes (jetzt Satz 4), in dem es um die "notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung" der Hilfsmittel und um die "Ausbildung im Gebrauch" geht. Der Anspruch des Versicherten umfasst nunmehr ausdrücklich auch "soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen." Diese Ergänzung ist dem Wortlaut nach zwar nur auf technische Hilfsmittel zugeschnitten. Meines Erachtens müsste sie aber dem Sinn und Zweck nach auch für das Hilfsmittel "Blindenführhund" gelten. Das bedeutet, dass unsere Forderung, dass eine Gespannprüfung nicht nur bei der Abgabe des Hundes stattfindet, sondern auch im Rahmen einer späteren Kontrolle, einen gewissen Rückenwind durch das Gesetz bekommen hat.

Auch der letzte Satz in § 33 Abs. 1 (jetzt Satz 5) ist neu: "Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen." Dies ist auf den ersten Blick nichts neues: Für das Hörgerät, das teurer ist als das von der Krankenkasse bewilligte, zahlt man eben drauf. Auf den zweiten  –  juristischen  –  Blick muss man jedoch feststellen, dass sich diese neue Regelung  –  und das ist ihre Eigenart  –  nur auf den Fall bezieht, dass zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer ein Vertrag besteht. Und dies ist so zu verstehen, dass der Leistungserbringer mit der Krankenkasse einen Vertrag eingeht, in dem er sich verpflichtet, auf jeden Fall auch das "Krankenkassenmodell", wie ich es nennen möchte, anzubieten. Oder anders gesagt: Das teure Modell darf dem Kunden nur dann angeboten werden, wenn auch das billige, aber "aufzahlungsfreie" Modell zur Wahl steht. Und wenn kein solcher Vertrag zwischen dem Anbieter der Leistung und der Krankenkasse besteht? Auf diese Frage komme ich nachher zurück.

Gesetzt den Fall, es besteht ein Vertrag. Dann, so heißt es im neuen Abs. 6, dort in Satz 2: "erfolgt die Versorgung durch einen Vertragspartner, der den (richtig wäre: dem) Versicherten von der Krankenkasse zu benennen ist." Der Versicherte hat also grundsätzlich kein Recht, den Leistungserbringer selber auszuwählen. Allerdings heißt es im folgenden Satz 3: "Abweichend von Satz 2 können Versicherte ausnahmsweise einen anderen Leistungserbringer wählen, wenn ein berechtigtes Interesse besteht; dadurch entstehende Mehrkosten haben sie selbst zu tragen." Was heißt das konkret? Liegt ein solches "berechtigtes Interesse" vor, wenn jemand geltend macht, nur die selbstgewählte "Führhundschule des Vertrauens" könne eine ausreichende und genügend Sicherheit bietende Versorgung garantieren? Das zu entscheiden wäre nach dem Gesetz eine Frage des Einzelfalls. Und nach dem Gesetz dürfte hier auch nur "ausnahmsweise" zugunsten des Versicherten entschieden werden.

Nicht zu unrecht hat diese Regelung, schon als sie im Entwurf vorlag, den Blindenführhundhaltern große Sorgen bereitet. Der DVBM hat mit einer Petition, die auch vom DBSV unterstützt wurde, diese Regelung zu verhindern versucht. Der DBSV hat auch noch selber eine eigene Stellungnahme abgegeben. Doch weder diese Stellungnahme noch das Votum des Bundesrates, der die Regelung, wenn auch aus anderen Gründen, ablehnte, hatten Erfolg.

Was jetzt? Der DBSV wird nunmehr dafür eintreten, dass beim Hilfsmittel "Blindenführhund" das Wahlrecht dadurch gesichert wird, dass es als notwendige Qualitätsvorgabe für die besonders komplizierte wechselseitige "Anpassung" von Führhund und Führhundhalter zum Standard gemacht und insoweit im Hilfsmittelverzeichnis abgesichert wird. Dazu nachher noch mehr.

Welche rechtlichen Folgen hat es, wenn der Versicherte sich für die bessere Leistung entscheidet und die Mehrkosten übernimmt? Das Gesetz lässt nach wie vor offen, ob die Krankenkasse das Hilfsmittel dem Versicherten als Eigentum, als Eigentum unter Vorbehalt oder nur leihweise verschafft, und ob in Höhe der übernommenen Mehrkosten ein Teileigentum des Versicherten besteht. Letzteres war bisher nicht der Fall, und es wird auch wohl so bleiben. Maßgeblich ist insoweit nicht das SGB V, sondern was in der Bewilligung der Krankenkasse und im Vertrag mit dem Leistungserbringer steht.

Das neue Hilfsmittelverzeichnis

Das Hilfsmittelverzeichnis wurde bisher in zwei Paragraphen geregelt: erstens in § 128, der im Abschnitt über die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern von Hilfsmitteln steht, zweitens in § 139, und dieser Paragraph steht im Abschnitt über die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung. Diese beiden Paragraphen sind nunmehr im neuen § 139 zusammengefasst und erweitert worden.

Was ist neu am neuen Hilfsmittelverzeichnis? Zunächst die äußere Form. In Abs. 1 Satz 1 ist nunmehr die Rede von einem "systematisch strukturierten Hilfsmittelverzeichnis". Wie dieses aussehen wird, haben wir bereits erfahren, als uns der IKK-Bundesverband (der im Hilfsmittelbereich für die anderen GKV-Spitzenverbände federführend aktiv ist) Auszüge aus einem Rohentwurf zur Stellungnahme zukommen ließ. Kurz gesagt: Das Hilfsmittelverzeichnis wird erheblich umfangreicher werden, da bei jedem einzelnen Hilfsmittel bergeweise Informationen, auch sich ständig wiederholende, zusammengetragen werden. Ergänzend sei hier mitgeteilt:

Der IKK-Bundesverband hatte uns zum 15.03.2007 zu einem Gespräch eingeladen. Hierbei ging es speziell um eine neue Systematik bei der Gliederung der Produktgruppe 07 (Blindenhilfsmittel). Zu erfahren war dabei übrigens auch, dass Blindenhilfsmittel zum Schreiben, soweit sie in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung fallen (nämlich bei der Versorgung von Schulkindern), in das Hilfsmittelverzeichnis neu aufgenommen werden sollen.

Nun zum Inhalt und zur Bedeutung des neuen Hilfsmittelverzeichnisses:

Zunächst: Es bleibt dabei, dass das Hilfsmittelverzeichnis für die Leistungsansprüche der Versicherten nicht rechtlich verbindlich ist. Das bedeutet einerseits: Werden die im Urteil des BSG zum Farberkennungsgerät beschriebenen Voraussetzungen erfüllt, so hat der Versicherte einen in Regel durchsetzbaren Rechtsanspruch auf dieses Hilfsmittel, und zwar ungeachtet dessen, dass im Hilfsmittelverzeichnis eine entsprechende Verpflichtung der Krankenkasse ausdrücklich abgelehnt wird. Das bedeutet andererseits: Auch durch die Aufnahme des Hilfsmittels "Einkaufsfuchs" in das Hilfsmittelverzeichnis ist längst nicht gesichert, ob die Krankenkassen und im Streitfall die Gerichte diesbezüglichen Anträgen stattgeben.

Unmittelbare rechtliche Bedeutung hat das Hilfsmittelverzeichnis nun aber im Hinblick auf die Qualitätsstandards. Die Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, beim Abschluss der Verträge mit den Leistungserbringern diese Standards einzuhalten. In § 127 Abs. 1 Satz 3 heißt es: "Die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte sind zu beachten." Worauf sich diese Anforderungen beziehen können, wird in § 139 Abs. 2 ausgeführt: "Soweit dies zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist, können im Hilfsmittelverzeichnis indikations- oder einsatzbezogen besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festgelegt werden. Besondere Qualitätsanforderungen nach Satz 1 können auch festgelegt werden, um eine ausreichend lange Nutzungsdauer oder in geeigneten Fällen den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln zu ermöglichen. Im Hilfsmittelverzeichnis können auch die Anforderungen an die zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringenden Leistungen geregelt werden."

Auf den letzten Satz würden sich beispielsweise die Anforderungen beziehen, die an die Schulung des Führhundgespanns zu stellen sind und die auch schon im bisherigen Hilfsmittelverzeichnis (durch Verweisung auf die seinerzeit vom DBV eingereichten Papiere) enthalten sind. Diese Anforderungen sollten, wie oben gesagt, um Vorgaben zum Wahlrecht des Antragstellers erweitert werden. Dies müsste dann aber erst noch ausgehandelt werden.

Interessant finde ich die Formulierung zu "besonderen" Qualitätsanforderungen, die "indikations- oder einsatzbezogen" festgelegt werden können. Hier wäre eventuell Raum für die Festlegung einer besonderen Qualität von Hörgeräten, die durch das Zusammentreffen von Hörbehinderung und Sehbehinderung indiziert ist. Insoweit fehlt es aber nach wie vor an einem wissenschaftlich abgesicherten Nachweis für diese spezielle Indikation.

Zum Schluss noch einige Worte zum Verfahren: Der Satz: "Das Verfahren zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis regeln die Spitzenverbände der Krankenkassen." wurde ergänzt um die Worte "nach Maßgabe der Absätze 3 bis 6". Und in diesen Absätzen macht das Gesetz einige Vorgaben für das Verfahren, deren Darstellung ich mir hier sparen möchte. Erwähnen möchte ich nur dies: Ausdrücklich heißt es jetzt in Abs. 3 Satz 1, dass die Aufnahme "auf Antrag des Herstellers" erfolgt. Das heißt: Einen Antrag zum Beispiel auf Aufnahme des DAISY-Players in das Hilfsmittelverzeichnis kann nicht der DBSV stellen, sondern nur der Hersteller. Dies war auch vorher schon so, steht nun aber eindeutig im Gesetz. Unverändert gilt aber auch, dass der DBSV als ein nach § 140 g anerkannter Selbsthilfeverband gemäß § 140 f Abs. 4 an der Beratung über Änderungen des Hilfsmittelverzeichnisses "beratend mitwirkt."

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Was bringt das AGG? (2)

In der Februar-Ausgabe endete der erste Teil mit der Aufzählung einiger Fälle, die verdeutlichen, wo Probleme bei der Anwendung des Gesetzes liegen können.

Bezogen auf die Lebensführung blinder und sehbehinderter Menschen könnte man sich zugespitzt auf den Standpunkt stellen, dass, weil ein Sinnesorgan fehlt bzw. erheblich geschädigt ist, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben für die Person gefährlich ist. Eine blinde bzw. hochgradig sehbehinderte Person verursacht eine Gefahr, sobald sie am öffentlichen Leben teilnimmt, weil sie gewisse Situationen nicht erfassen kann.

Die Teilnahme am Straßenverkehr bedeutet für blinde Fußgänger eine erhöhte Unfallgefahr, weil sie andere Verkehrsteilnehmer nicht sehen und so nicht adäquat reagieren können; im Flugzeug, auf Konzerten und im Kino können Blinde im Falle eines Notfalls den Notausgang nicht finden und so sich und andere gefährden; im Schwimmbad könnten sie das Becken verfehlen und stürzen, im Zug könnten sie über herumstehende Gepäckstücke fallen und sich verletzen etc.

Ein derartiges Verständnis des Gefahrenbegriffs des Paragraph 20 Absatz 1 Nr. 1 ist zweifellos zu weit gegriffen. Ein gewisses Gefahrenpotenzial ist lebenstypisch. In bestimmtem Umfang sind Gefahren immer hinzunehmen. Zudem ist es gerade das Ziel des AGG, die Gleichbehandlung behinderter Menschen zu fördern, was durch eine derartige Sichtweise gerade verfehlt würde.

Andererseits soll nach dem AGG der Vertragspartner aber auch davor geschützt werden, nicht unüberschaubar hohen Unfallpotentialen und Haftungsrisiken ausgesetzt zu werden.

Es gilt also die Frage zu beantworten, wo die Grenzlinie zwischen noch hinzunehmenden Risiken und unzumutbaren Gefahren verläuft.

Es ist in diesem Rahmen eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse des behinderten Menschen auf Gleichbehandlung einerseits und dem Interesse des Anbieters bezogen auf die Vermeidung von Gefahren und Schäden auf der anderen Seite. Dazu bedarf es der Prüfung in jedem Einzelfall, ob die Ungleichbehandlung diesbezüglich angemessen ist.

Um hinzunehmende Risiken und damit nicht um Ausnahmen i.S.d. Paragraph 20 Absatz 1 Nr. 1 handelt es sich, wenn die sich ergebenden Gefahren und die in Aussicht stehenden Schäden das sog. Allgemeine Lebensrisiko nicht erheblich überschreiten.

Das ist dann der Fall, wenn verglichen mit dem Risiko eines Nichtbehinderten die Gefährdung bzw. die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht erheblich erhöht ist.

Um zu klären, welche Gefahren bzw. welche Schadenswahrscheinlichkeiten noch hinzunehmen sind, bedarf es also eines Vergleichs.

Hätte ein Sehender in derselben Situation ein erheblich geringeres Risiko? Hierbei ist auf den sog. "Durchschnittssehenden" abzustellen. Kommt man zu dem Ergebnis, dass das bestehende Risiko erheblich höher ist, wäre die Gefahrensituation i.S.d. Paragraph 20 Absatz 1 Nr. 1 anzunehmen.

In den Fällen hingegen, in denen das Risiko gleich bzw. unerheblich erhöht ist, wäre eine Ungleichbehandlung unangemessen, da hier das Interesse des Behinderten auf Gleichbehandlung dem Sicherheitsinteresse des Anbieters vorzugehen hat.

Bei der Beurteilung der Situation kommt es auf die Sichtweise eines objektiven Beobachters an. Es genügt also nicht, dass der (etwaige) Vertragspartner die Situation für gefährlich bzw. schadensträchtig hält. Es sind objektivierbare Kriterien zur Beurteilung heranzuziehen.

Damit werden alle die Fälle herausgefiltert, in denen die Ungleichbehandlung auf ein übertriebenes Sicherheitsempfinden zurückzuführen ist.

Hier wäre z.B. der Fall zu nennen, in dem der Gastwirt dem blinden Gast, aus Angst, der Blinde werde sich schneiden, das bestellte Schnitzel nur in geschnetzelter Form anbietet. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Blinder bzw. ein Sehbehinderter genauso mit Messer und Gabel essen kann wie ein Sehender.

Es ist für die konkrete Situation darüber hinaus eine typisierte Betrachtungsweise erforderlich. Stellt dieser konkrete Vertragsschluss für einen typischen Blinden/Sehbehinderten eine erhöhte Gefährdung dar?

Im oben genannten Fall 2, in dem der Reiseveranstalter der Blinden die Teilnahme an einer Bergtour verweigert, wäre danach zu fragen, ob ein Blinder oder Sehbehinderter normalerweise in der Lage ist, eine entsprechende Tour ohne erhöhtes Unfallrisiko zu absolvieren.

Zwar wird es Blinde und Sehbehinderte geben, die regelmäßig Bergsteigen (wie z.B. der Blinde, der den Mount Everest erklommen hat) und die möglicherweise eine derartige Gruppenreise mit entsprechender Begleitung besser absolvieren könnten als andere Sehende, jedoch kann der Reiseveranstalter hier davon ausgehen, dass eine derartige Reise für einen typischen blinden Teilnehmer mit vergleichbar erheblich erhöhtem Unfallrisiko (z.B. Absturz) verbunden sein dürfte.

Es kann dem Anbieter (hier dem Reiseveranstalter) nicht zugemutet werden, sich ein konkretes Bild von dem einzelnen etwaigen Vertragspartner zu machen, zumal eine entsprechende Einschätzung im Einzelfall sehr schwierig sein dürfte.

Eine Ausnahme von der typisierten Sichtweise käme nur dann in Betracht, wenn der Anbieter die Besonderheiten des behinderten Vertragspartners kennt und sich eine Ungleichbehandlung vor diesem Hintergrund als unangemessen herausstellen würde.

In diesem Zusammenhang wäre das Beispiel zu nennen, in dem sich der Bootsverleiher weigert, der blinden Surferin ein Surfbrett mit Hinweis auf ihre Blindheit zu verleihen, obwohl er weiß, dass sie zusammen mit der anwesenden Begleitperson problemlos in der Lage ist, mit dem Surfbrett zu segeln.

Das hat aber auch umgekehrt zu gelten: Wenn der Anbieter feststellt, dass eine blinde oder sehbehinderte Person offensichtlich nicht in der Lage ist, das Angebot adäquat zu nutzen, so muss ihm ein entsprechender Ausschluss möglich sein.

Hier wäre der Fall zu nennen, in dem der Wildparkbesitzer bemerkt, dass eine Blinde völlig orientierungslos ist und alleine durch den Park laufen will und er sich daraufhin weigert, sie einzulassen.

Schließlich bleibt noch die Frage zu klären, auf wessen Gefährdung es anzukommen hat, bzw. bei wem der Schadenseintritt zu befürchten ist. Hat es darauf anzukommen, ob die betroffene Person gefährdet wird, oder genügt es, wenn der Anbieter oder andere gefährdet werden oder Schäden bei anderen Personen oder Sachen in Aussicht stehen.

Obwohl die Gesetzesbegründung von der Gefährdung des von der Ungleichbehandlung Betroffenen spricht, kann es meines Erachtens nicht darauf ankommen, wer gefährdet wird. Der Gesetzeswortlaut spricht gerade nicht von Gefahren und Schäden für den Betroffenen. Zudem muss es dem Anbieter selbstverständlich möglich sein, auch bei drohenden Gefahren für sich oder andere Kunden den Betroffenen auszuschließen.

Dies zeigt schon der Fall, indem es der Schießbudenbesitzerin möglich sein muss, mit Hinweis auf die Verletzungsgefahr für ihren Mitarbeiter, der in der Bude steht, den Blinden vom schießen auszuschließen.

Nach allem ergibt sich, dass eine Abwägung für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen erforderlich ist.

Für die oben skizzierten Fälle würde sich damit Folgendes ergeben:

Im Fall 1 käme es darauf an, wie das Schwimmbad ausgestattet ist. Handelt es sich um ein durchschnittliches Hallenbad wäre eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Von einer durchschnittlichen Blinden wäre nach den obigen Ausführungen zu erwarten, dass sie sich mit Hilfe ihres Stockes im Raum orientieren und damit das Schwimmbecken gefahrlos erreichen und benutzen kann. Dass es beim Schwimmen zu Zusammenstößen kommt, kann durch eine entsprechende Markierung (z.B. markierte Badekappe) vermieden werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ist damit nicht erheblich höher, als wenn ein Sehender das Schwimmbad benutzen würde.

Im Fall 3, in dem dem Blinden die Nutzung von Fahrgeschäften verboten wird, kommt es wiederum darauf an, welche Fahrgeschäfte erfasst werden. Bezogen auf die Einrichtungen, in denen das Augenlicht nicht benötigt wird, um es zu Nutzen, kann auch keine erhöhte Gefährdung angenommen werden. Wenn es allerdings um Einrichtungen geht, bei denen der Einsatz des Augenlichts erforderlich ist, z.B. bei der Absolvierung eines bestimmten Parcours wäre, ein Ausschluss möglicherweise gerechtfertigt.

In einem Vergnügungspark, in dem es von beiden Arten Fahrgeschäfte gibt (für Blinde nutzbare und für Blinde gefährliche Geräte) wäre ein allgemeiner Ausschluss unangemessen und damit nicht gerechtfertigt. Gerechtfertigt wäre allenfalls ein Nutzungsverbot, dass sich auf die bestimmten, für Blinden und Sehbehinderte gefährlichen Geräte bezieht.

Im Fall 4 (Busfall) würde das Interesse des Blinden auf Gleichbehandlung dem Interesse des Busunternehmens auf Gefahrenabwehr überwiegen. Es ist nicht erheblich gefährlicher, eine blinde Person zu transportieren als eine sehende Person. Eine Ablehnung wäre danach nicht gerechtfertigt.

2. Mittelbare Benachteiligungen

Bezogen auf die in Paragraph 3 beschriebenen mittelbaren Benachteiligungen, die durch Vorschriften, Kriterien oder Verfahren bewirkt werden können, ist eine Ungleichbehandlung dann keine verbotene Benachteiligung, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Keine verbotene Benachteiligung liegt z.B. dann vor, wenn Prüfungsordnungen oder Zulassungsvorschriften eine bestimmte Sehfähigkeit für Bereiche fordern, in denen eine entsprechende Sehfähigkeit zwingend erforderlich ist. Dies gilt z.B. für die Erteilung von Fahrerlaubnissen oder Berufspatenten.

Es liegt auf der Hand, dass ein Blinder nicht Pilot oder Busfahrer werden kann.

Jedoch gilt auch hier, dass die Ungleichbehandlung immer auch erforderlich und angemessen sein muss.

Private Versicherungsverträge

Eine von DBSV und DVBS im Jahre 2005 durchgeführte Erhebung hat ergeben, dass die Versicherungsunternehmen recht unterschiedliche und zum Teil willkürlich erscheinende Entscheidungen treffen: Manche Anträge werden ohne Einschränkungen akzeptiert, andere komplett abgelehnt, wieder andere mit Risikoausschlüssen oder mit Prämienzuschlägen.

Eine unterschiedliche Behandlung von Antragsstellern ist nach dem AGG nur noch dann gerechtfertigt, wenn sie auf "anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Bewertungen" (vgl. Paragraph 20 Absatz 2).

Bevorzugung

Das AGG stellt darüber hinaus schließlich in Paragraph 20 Absatz 1 Nr. 3 klar, dass eine Vorteilsgewährung an sich noch keine unzulässige Benachteiligung darstellt, wenn kein Interesse an einer Gleichbehandlung besteht.

C. Rechtsfolgen

Paragraph 21 AGG bestimmt, welche Rechte dem von Benachteiligung Betroffenen zustehen.

In den Fällen, in denen die Benachteiligung noch fort dauert, kann der Betroffene Beseitigung verlangen, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht, kann er den anderen auf Unterlassung in Anspruch nehmen.

Ist dem Betroffenen durch die Benachteiligung ein Schaden entstanden, so kann er diesen ersetzt verlangen.

Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Benachteiligte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Dazu gehört z.B. auch ein Schmerzensgeld. Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch ist allerdings, dass der andere schuldhaft gehandelt hat. Das bedeutet, er muss vorsätzlich oder fahrlässig benachteiligt haben.

D. Durchsetzung des Anspruchs

Was ist im Rahmen der Rechtsverfolgung zu beachten?

I. Fristen  –  Innerhalb welcher Zeit ist der Anspruch geltend zu machen?

Die beschriebenen Ansprüche müssen innerhalb von zwei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden, es sei denn der Benachteiligte ist an der Geltendmachung unverschuldet gehindert (vgl. Paragraph 21).

II. Beweisregeln  –  Wer muss im Falle des Prozesses was beweisen

Es gilt im Zivilprozess der Grundsatz, dass jeder die für ihn günstigen Tatsachen zu beweisen hat.

Das hieße also, dass der Behinderte, der einen anderen wegen einer Diskriminierung in Anspruch nehmen will, normalerweise verpflichtet wäre, die Diskriminierung zu beweisen.

Das wäre in den Fällen sehr schwierig, in denen der Grund für die Benachteiligung nicht offensichtlich ist.

Hier soll noch einmal auf den oben skizzierten Fall zurückgekommen werden, in dem der blinden Studentin trotz der erforderlichen Abiturnote von 2,0 die Zulassung zum Studium nicht gewährt wird.

Das AGG sieht in Paragraph 22 eine Beweiserleichterung vor. Danach muss der Betroffene Indizien vortragen und beweisen, die auf eine Benachteiligung hinweisen.

Im Rahmen eines Schadensersatzprozesses ist es Sache des Benachteiligers zu beweisen, dass er nicht Schuldhaft gehandelt hat. Diesbezüglich sieht das AGG in Paragraph 21 eine Beweislastumkehr vor.

III. Unterstützungsmöglichkeiten  –  Wer bietet Hilfe

1. Antidiskriminierungsverbände

Ein von einer Diskriminierung Betroffener hat die Möglichkeit, sich durch einen so genannten Antidiskriminierungsverband unterstützen zu lassen. Antidiskriminierungsverbände sind Interessensverbände, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen (vgl. Paragraph 23). Sie können in Verfahren, in denen kein Anwaltszwang herrscht (z.B. vor dem Amtsgericht oder dem Arbeitsgericht) als Beistand auftreten. Auch DVBS und DBSV haben die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt, um als derartige Antidiskriminierungsverbände auftreten zu können.

2. Antidiskriminierungsstelle

Der Bund hat eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet. Wer der Ansicht ist, im Sinne des AGG diskriminiert worden zu sein, kann sich an diese Stelle wenden. Die Antidiskriminierungsstelle soll betroffene Personen bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen.

E. Zusammenfassung

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das AGG für einen gewissen Bereich Verbesserungen für blinde und sehbehinderte Menschen bringt. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Massengeschäfte und den Bereich der Versicherungsverträge. Man muss sich aber im Klaren darüber sein, dass dieses Gesetz nicht gegen jegliche Art von Diskriminierungen schützt.

Da das Gesetz eine Vielzahl von unbestimmten Begriffen enthält, wird man abwarten müssen, wie die Gerichte diese Begriffe auslegen werden und welche praktische Bedeutung diesem Gesetz zukünftig zukommen wird.

Dr. Petra Bungart  

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Merkzeichen B in neuem Gewand

Schwerbehindertenausweise mit dem Merkzeichen B, die vor dem 12. Dezember 2006 ausgestellt worden sind (und das trifft auf fast alle zu), tragen auf der Vorderseite den Aufdruck: "Die Notwendigkeit ständiger Begleitung ist nachgewiesen." Diese Formulierung gab immer wieder Anlass zu dem Missverständnis, dass der Ausweisinhaber nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, stets eine Begleitperson bei sich zu haben. So wurde und wird behinderten Menschen ohne Begleitperson zunehmend die Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln und der Zutritt zu Schwimmbädern verweigert. Vereinzelt sind sogar Gerichte diesem Irrtum erlegen. Amts- und Landgericht Flensburg haben den Träger einer Wohneinrichtung für behinderte Menschen wegen Verletzung der Aufsichtspflicht zum Schadensersatz verurteilt, weil er eine Heimbewohnerin, obwohl in ihrem Ausweis die "Notwendigkeit ständiger Begleitung" vermerkt war, ohne Begleitperson ihren Arbeitsweg antreten ließ, auf dem sie einen Verkehrsunfall verursachte, bei dem sie selbst zu Tode kam.

DBSV und DVBS haben vom Gesetzgeber mehrfach gefordert, im SGB IX und in der Schwerbehindertenausweisverordnung unmissverständlich klarzustellen, dass es sich bei der Mitnahme einer Begleitperson um einen Nachteilsausgleich und somit um ein Recht und nicht um eine Verpflichtung des Schwerbehinderten handelt.

Zunächst wurden diese Initiativen abschlägig beschieden; denn im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung befürchtete man, dass die angestrebte Gesetzesänderung zu einer Ausweitung des berechtigten Personenkreises führen werde. Noch in der letzten Legislaturperiode scheiterte ein Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag an der rot-grünen Mehrheit. Inzwischen ist es jedoch gelungen, im Parlament einen breiten Konsens darüber herbeizuführen, dass die einschlägigen Gesetzesvorschriften und der Aufdruck auf dem Ausweis geändert werden müssen. Das ist vor allem das Verdienst der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, MdB Karin Evers-Meyer (SPD), und des behindertenpolitischen Sprechers der CDU, MdB Hubert Hüppe.

Versteckt im Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2742 ff.) finden sich die Neuregelungen zu den 145 ff. SGB IX und der Schwerbehindertenausweisverordnung. Dort ist nicht" §§ 145 ff. SGB IX und der Schwerbehindertenausweisverordnung. Dort ist nicht mehr von der "Notwendigkeit ständiger Begleitung", sondern mit der wünschenswerten Klarheit von der "Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson" die Rede. Dementsprechend wird seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 12. Dezember 2006 auf den neu ausgestellten Schwerbehindertenausweisen neben dem Merkzeichen B vermerkt: "Die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson ist nachgewiesen."

Die vorher ausgestellten Ausweise behalten ihre Gültigkeit. Jedoch kann der Ausweisinhaber beim zuständigen Versorgungsamt beantragen, dass der aufgedruckte Vermerk der neuen Rechtslage angepasst wird. Dieser Antrag ist durchaus zu empfehlen, will man nicht Gefahr laufen, dass der überholte Vermerk auf dem Ausweis auch weiterhin missverstanden wird.

Der Gesetzgeber hat  –  dankenswerterweise  –  noch ein Übriges getan. Er hat bei der Neufassung des § 146 Abs. 2 SGB IX dem modernen Verständnis von Behinderung und den (z.B. durch ein Mobilitätstraining) gewachsenen Fähigkeiten behinderter Menschen Rechnung getragen. Bisher war nach der genannten Vorschrift die Erteilung des Merkzeichens B davon abhängig, dass der Schwerbehinderte "bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln in Folge seiner Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen" ist. Der Hinweis auf die "Vermeidung von Gefahren für sich oder andere" wurde aus dem Gesetz gestrichen, und es wurde sogar ausdrücklich geregelt, dass aus der Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nicht geschlossen werden darf, der Berechtigte bilde ohne eine Begleitperson für sich oder andere eine Gefahr.

§ 146 Abs. 2 SGB IX lautet nunmehr: "Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nicht, dass die behinderte Person, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder andere darstellt."

Diese Gesetzesänderung ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zu dem Ziel, behinderten Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern.

Dr. Otto Hauck

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Hilfsmittel-Wahlrecht erhalten

"Die Qualität der Versorgung ist gefährdet und viele behinderte Menschen müssen mit erheblichen finanziellen Härten rechnen." Dr. Martin Danner, Leiter des Referats Gesundheitspolitik und Selbsthilfeförderung der BAG SELBSTHILFE, blickt in eine wenig rosige Zukunft für Betroffene, wenn die Absicht des Gesetzgebers in die Tat umgesetzt wird, die einzelnen Krankenkassen dazu zu zwingen, die Versorgung mit Hilfsmitteln nur noch dem in einem Ausschreibungsverfahren ermittelten billigsten Anbieter zu übertragen.

Bereits die bisherige Praxis der gesetzlichen Krankenkassen bei der Festlegung von Festbeträgen für Hilfsmittel habe gezeigt, dass die Krankenkassen kein Interesse hätten, den Beratungsbedarf der Betroffenen und den Anpassungs- und Reparaturaufwand der Hilfsmittel angemessen zu berücksichtigen.

Und so erwartet der gesundheitspolitische Sprecher der BAG SELBSTHILFE, dass diese notwendigen Bestandteile der Hilfsmittelversorgung bei den Ausschreibungsbedingungen der Kassen keinesfalls hinreichend berücksichtigt werden: "Dies wird zu einer weiteren Verschlechterung der Versorgung und zu weiteren Ressourcenverschwendungen führen", fürchtet Dr. Martin Danner, "ein schlecht angepasstes Hilfsmittel, das ungenutzt im Nachttisch verschwindet, kostet Geld, bringt dem Versicherten aber nichts."

Die BAG Selbsthilfe fordert den Gesetzgeber auf, den im SGB XI festgelegten Wunsch- und Wahlrechten zu entsprechen. "Diese Rechte sind kein Luxus, sondern sachlich unbedingt geboten, da Hilfsmittel  –  beispielsweise Prothesen, Stoma- oder Inkontinenzprodukte  –  individuell angepasste Güter sind, die nicht abstrakt reglementiert werden können", so Dr. Martin Danner weiter.

(Aus einer Pressemitteilung der BAG Selbsthilfe.)

BU: Führhund ist nicht gleich Führhund: Die Wahlfreiheit muss dem blinden Menschen erhalten bleiben.

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Was bringt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz?

Nach jahrelangen zähen Diskussionen trat am 01.08.2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes war eine der wichtigsten Forderungen der Behindertenselbsthilfe. Mit der Einführung eines derartigen Gesetzes versprach man sich weit reichende gesellschaftliche Gleichstellung behinderter Menschen.

Aus der Perspektive Blinder und Sehbehinderter stellt sich nun die Frage, was dieses neue Gesetz für Chancen bietet, welche Ansprüche es gewährt und wie diese gegebenenfalls durchsetzbar sind.

Die Beantwortung dieser Fragen soll auch den Nichtjuristen in die Lage versetzen, sich ein Bild von den Möglichkeiten und Grenzen des neuen Gesetzes zu machen, wobei insbesondere auf die Aspekte eingegangen wird, die für blinde und sehbehinderte Menschen von Interesse sind.

A. Einführung

I. Das AGG und andere Gleichstellungsvorschriften  –  Was unterscheidet das AGG eigentlich von anderen Gesetzen zur Gleichstellung Behinderter?

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Vorschriften, die das Ziel haben, die gesellschaftliche Gleichstellung behinderter Menschen zu erreichen.

In diesem Zusammenhang wäre zunächst Artikel 3 Abs.2 Satz 2 Grundgesetz (Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden) zu nennen, der das Grundrecht Behinderter auf Gleichberechtigung manifestiert.

Darüber hinaus gibt es die Behindertengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder sowie zahlreiche Vorschriften des Sozialrechts. Diese Gesetze nehmen zunächst lediglich unmittelbar den Staat in die Pflicht. So richtet sich z.B. das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz in erster Linie an Bundesbehörden, die Landesgleichstellungsgesetze an Landesbehörden. Mittels der Sozialgesetze wird die öffentliche Verwaltung verpflichtet.

In Fällen, in denen ein Behinderter von einer Privatperson diskriminiert wird, sind diese Gesetze also grundsätzlich nicht einschlägig.

Anders ist es nun beim AGG. Das AGG ist ein Gesetz auf dem Gebiet des Zivilrechts, das auch bürgerliches Recht genannt wird. Wie der Name schon sagt, werden in ihm Verhältnisse zwischen Privatpersonen geregelt. Es richtet sich an jedermann. Das bedeutet, dass aufgrund des AGG grundsätzlich jeder verpflichtet werden kann.

Zu beachten ist aber, dass das AGG lediglich vor Benachteiligungen, also vor Schlechterbehandlungen schützen soll. Damit unterscheidet es sich von den Leistungsgesetzen des Sozialrechts z.B. den Landesblindengeldgesetzen.

Diese gewähren Leistungen um das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen durch einen Nachteilsausgleich zu erreichen. Beim AGG geht es aber nicht um Nachteilsausgleich durch Leistungsgewährung, sondern allein um Schutz vor unzulässigen Ungleichbehandlungen.

II. Diskriminierungsverbot und Vertragsfreiheit  –  Warum ist das AGG eigentlich so brisant?

"Durch das AGG wird die heilige Kuh des deutschen Zivilrechts, die Vertragsfreiheit, geopfert", so wird immer wieder behauptet.

Die Vertragsfreiheit, auch Vertragsautonomie genannt, besagt, dass jeder die Freiheit hat Verträge zu schließen mit wem und mit welchem Inhalt er will. Bestandteil dieser Freiheit ist umgekehrt auch die Freiheit, Verträge nicht zu schließen. Das ist grundsätzlich gut und richtig und ein Ausfluss der grundgesetzlich gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Grundgesetz).

Dem Grunde nach steht es mir frei, einzukaufen wo ich will, ich kann mir aussuchen welchen Arzt ich konsultieren will, wem und für welchen Preis ich mein Haus verkaufen will und bei welcher Bank ich mein Konto eröffne. Daraus resultiert auch, dass ich frei bin, bei einem Bäcker keine Brötchen zu kaufen, einen bestimmten Arzt nicht aufzusuchen, mein Haus an einen bestimmten Menschen nicht zu verkaufen, bei einer bestimmten Bank kein Konto zu eröffnen. Die Motive für diese Entscheidungen spielen keine Rolle. So genügt es, wenn mir die Nase des Bäckers nicht passt, der Arzt raucht, derjenige, der das Haus kaufen will ein Ausländer ist oder die Bankangestellte blind ist.

Die Vertragsautonomie ist aber nicht grenzenlos. Es ist allgemein anerkannt, dass die Vertragsfreiheit dort endet, wo die Interessen des Vertragspartners unangemessen verletzt werden.

Zu nennen wären hier die Vorschriften zum Schutz von Minderjährigen oder von Verbrauchern. Darüber hinaus ist auch auf das sich u.a. aus Paragraph 242 BGB ergebende Prinzip von Treu und Glauben hinzuweisen. Aus diesem Prinzip lässt sich auch die Pflicht des Vertragspartners herleiten, den anderen nicht unangemessen zu diskriminieren. Regelmäßig greifen diese beschriebenen Schutzprinzipien jedoch erst ein, wenn es bereits zum Vertragsschluss gekommen ist.

Das AGG setzt nun schon früher an. Sein Schutzkreis erfasst auch vorvertragliche Schuldverhältnisse. Bevor es überhaupt zum Vertragsschluss gekommen ist, kann das AGG potentielle Vertragspartner in die Pflicht nehmen.

Das kann sogar soweit gehen, dass ein Anbieter nach dem AGG verpflichtet werden kann, einen bestimmten Vertrag mit dem Betroffenen abzuschließen.

Grund dafür ist, dass auch bei Vertragsanbahnung Situationen denkbar sind, in denen Menschen auf unerträgliche Weise benachteiligt oder ausgeschlossen werden. Dem will das AGG entgegensteuern.

Ein Hotel vermietet seine Zimmer nicht an geistig behinderte Menschen, weil diese angeblich unansehnlich sind; Ausländer dürfen eine Gaststätte nicht besuchen; ein Taxiunternehmen befördert nur deutsche Kunden.

Die Benachteiligung besteht hier gerade im Nichtabschluss eines Vertrags. Derartige Benachteiligungen werden für so unerträglich gehalten, dass der Anbieter zum Vertragsschluss verpflichtet werden kann. Zu beachten ist aber, dass das AGG nur für ganz bestimmte Vertragstypen, die unten genauer vorgestellt werden, Regelungen trifft.

Die Vertragsfreiheit hat bezogen auf diese Verträge dem Anspruch auf Gleichberechtigung zu weichen. Dies stellt eine Besonderheit dar, die von den Befürwortern gelobt, von den Gegnern scharf kritisiert wird.

B. Anspruchsvoraussetzungen  –  Was ist erforderlich, damit ein Anspruch nach dem AGG gegeben ist?

I. Geschützter Personenkreis  –  Wem steht ein Anspruch aus dem AGG überhaupt zu?

Ansprüche aus dem AGG können die in Paragraph 1 genannten Personengruppen herleiten. Das sind diejenigen, die wegen ihrer Rasse, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität diskriminiert worden sind.

Besonderes Augenmerk soll hier auf die Gruppe der behinderten und insbesondere der sehbehinderten und blinden Menschen gerichtet werden.

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand nicht unerheblich abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Jemand, dessen Sehfähigkeit eingeschränkt ist, ist damit noch nicht unbedingt im Sinne des AGG behindert. Nicht jeder, der eine Augenerkrankung hat, ist unbedingt zum Personenkreis der Behinderten zu zählen.

Es kommt darauf an, dass durch die Sehbeeinträchtigung eine dauerhafte und nicht unerhebliche Einschränkung anzunehmen ist.

So kann eine leichte Kurzsichtigkeit, die mit Hilfe einer Brille ausgeglichen werden kann, allein nicht zur Annahme einer Behinderung führen.

Auch fehlt es schon dann am Merkmal der Behinderung, wenn die Augenerkrankung (z.B. die Retinitis Pigmentosa) nicht zu erheblichen Sehbeeinträchtigungen führt.

Schließlich kann man auch in einem Fall nicht von einer Behinderung sprechen, in dem die Person aufgrund einer Operation nur vorübergehend nicht oder sehr schlecht sehen kann.

II. Anwendungsbereich  –  Auf welche Gebiete erstreckt sich das AGG?

Das AGG trifft Regelungen für ganz bestimmte Lebensbereiche (vgl. Paragraph 2). Ein wichtiger Regelungsbereich ist der Bereich der Arbeitswelt. Diskriminierungen soll insbesondere im Bewerbungsverfahren und im Rahmen der Beschäftigung entgegengewirkt werden. Ein Bewerber soll nicht wegen seiner Behinderung unberücksichtigt bleiben, schlechtere Ausbildungs- und Weiterbildungsbedingungen haben sowie mit nachteiligen Arbeitsbedingungen leben müssen, negativere Aufstiegschancen haben oder weniger Arbeitsentgelt erhalten (Paragraphen 6 ff.). Insbesondere will das AGG auch vor sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz schützen (vgl. dazu Paragraph 3 Absatz 4).

Des Weiteren bezieht sich das AGG auf den sozialen Bereich. Niemand soll wegen seiner Behinderung in diesem Bereich schlechter gestellt werden als ein Nichtbehinderter. Das gilt auch für den Bereich der Bildung und den Zugang und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.

Besondere Bedeutung kommt dem Diskriminierungsverbot im Zivilrechtsverkehr zu (Paragraphen 19 ff).

Dieses bezieht sich auf ganz bestimmte Typen von Rechtsgeschäften.

Zunächst betrifft es solche Verträge, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zu Stande kommen (Massengeschäfte) oder bei Verträgen, bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zu Stande kommen.

Als Beispiele wären der Kaufvertrag im Supermarkt oder beim Bäcker, die Buchung einer Ferienreise, der Besuch einer Gaststätte oder eines Hotels, die Fahrt mit einem Taxi oder einer Straßenbahn sowie der Besuch in einem Schwimmbad oder anderer öffentlicher Veranstaltungen oder die Beauftragung eines Handwerkers zu nennen. Darüber hinaus bezieht sich diese Norm auf private Versicherungsverträge. In diesem Zusammenhang wären z.B. private Krankenversicherungsverträge, Unfallversicherungsverträge, Hausrats- und Privathaftpflichtversicherungsverträge aufzuführen.

Alle Verträge, bei denen es dem Vertragspartner aber typischerweise auf die Person des Gegenübers ankommt, sind hier nicht erfasst.

Dazu zählen z.B. diverse Dienstverträge, wie der Arztvertrag oder Kaufverträge, wenn davon auszugehen ist, dass es dem Verkäufer besonders auf die Person des Käufers ankommt, wie z.B. beim Verkauf eines Pferdes, bei Schenkungen, Darlehensverträgen etc.

Eine Besonderheit gilt bei Wohnraummietverträgen. Das AGG findet keine Anwendung, wenn der Vermieter nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet oder wenn eine unterschiedliche Behandlung der Mietbewerber zur Schaffung oder Erhaltung sozial stabiler und ausgewogener Bewohnerstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse erfolgt (Vermeidung von Ghettobildung). Das bedeutet, dass Wohnraummietverträge praktisch nicht mit erfasst werden.

Hier zeigt sich, dass das AGG nicht bezogen auf alle Verträge Geltung entfaltet.

Möchte man einen Anspruch auf das AGG stützen, muss man also zunächst abklären, ob überhaupt eines der dort beschriebenen Regelungsbereiche betroffen ist.

III. Diskriminierung  –  Was ist eine Benachteiligung nach dem AGG?

Das AGG sieht zwei Formen der Benachteiligung vor, die unmittelbare und die mittelbare Benachteiligung.

  1. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen ihrer Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahren hat oder erfahren würde. Erforderlich ist also eine Ungleichbehandlung, die aus Gründen der Behinderung vorgenommen wird.
    Jemand wird wegen seiner Blindheit nicht eingestellt, in ein Restaurant nicht eingelassen, bei einer Beförderung nicht berücksichtigt, im Bus nicht mitgenommen etc.
    Anders herum, wäre diese Person nicht blind, würde sie eingestellt, in das Restaurant eingelassen, befördert oder im Bus mitgenommen.
    Das bedeutet also, wegen der Sehbehinderung bzw. der Blindheit muss eine Schlechterbehandlung (Diskriminierung) vorliegen. Man vergleicht also hier die aktuelle Behandlung des möglicherweise Benachteiligten mit der aktuellen oder hypothetischen Behandlung eines anderen.
    Dabei muss man sich darüber im Klaren sein, dass das AGG gerade keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich vorsieht, sondern lediglich eine Benachteiligung beenden oder kompensieren soll.
    Der folgende Fall soll dies verdeutlichen: Die blinde A möchte an der Privathochschule in H BWL studieren. Für das Fach BWL ist in H ein Numerus-clausus von 2,0 vorgesehen. Die blinde A hat eine Abiturnote von 2,1.
    Wenn A nun bei der Vergabe von Studienplätzen im Fach BWL wegen der Note nicht berücksichtigt wird, stellt dies keine unzulässige Benachteiligung dar, da sie nicht wegen ihrer Blindheit ausgeschlossen wurde, sondern weil sie die allgemeinen Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllt hat.
    Hier wird in die Erwägung nicht mit einbezogen, dass es für A viel schwieriger gewesen sein könnte, überhaupt das Abitur zu erlangen und ein entsprechender Nachteilsausgleich wünschenswert wäre.
    Auch würde keine unzulässige Benachteiligung vorliegen, wenn A ein Abitur von 2,0 gehabt hätte wie auch 200 andere Bewerber und A nach einem Losverfahren nicht berücksichtigt worden wäre.
    Der weit bekannte Satz: "bei gleicher Befähigung sind schwer behinderte Bewerber bevorzugt zu berücksichtigen", greift hier also nicht. Das AGG gibt keinen Anspruch auf Bevorzugung.
    Damit bedarf es also immer der Frage: "Wie wäre ein Nichtbehinderter (Normalsehender) in dieser Situation behandelt worden?" Gelangt man zu dem Ergebnis, dass dieser eine Besserbehandlung erfahren hätte, so wäre umgekehrt auch die Benachteiligung zu bejahen.
    Wenn A in dem skizzierten Fall nun eine Abiturnote von 1,8 hätte und wenn sie nicht berücksichtigt worden wäre, weil sie blind ist, wäre eine Benachteiligung also anzunehmen.
    Da andere Studenten mit entsprechenden Noten einen Studienplatz bekommen hätten und weil A wegen ihrer Blindheit nicht berücksichtigt worden ist, greift das AGG hier ein.
  2. Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen ihrer Behinderung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen.
    Das wäre im oben skizzierten Beispiel dann der Fall, wenn die Privatuniversität in ihre Zugangsbedingungen des Fachs BWL aufnehmen würde, dass nur Studenten, deren körperliche Fähigkeiten uneingeschränkt funktionstüchtig sind, zum Studium zugelassen werden.
    Durch eine derartige Norm würden Behinderte im Ergebnis vom Studium ausgeschlossen. A würde damit durch die entsprechende Vorschrift mittelbar benachteiligt.
    Als Beispiel wäre auch der Fall zu nennen, in denen in einer Stellenausschreibung ein Führerschein verlangt wird, obwohl für die ausgeschriebene Tätigkeit das Führen eines Fahrzeugs nicht erforderlich ist.
    Damit würde ein Sehbehinderter bzw. Blinder von vornherein durch dieses Anforderungsprofil grundlos ausgeschlossen.
  3. Belästigung. Auch eine Belästigung kann eine Benachteiligung im Sinne dieses Gesetzes sein. Das ist dann anzunehmen, wenn ein Verhalten, das sich auf die Behinderung bezieht, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
    Das wäre z.B. dann gegeben, wenn jemand am Arbeitsplatz über einen blinden Kollegen wahrheitswidrig verbreitet, dieser sei aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage, seine Arbeit zu erledigen.

IV. Rechtfertigung  –  In welchen Fällen ist eine Benachteiligung zulässig?

1. Bezogen auf die unmittelbare Benachteiligung. Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Behinderung ein sachlicher Grund gegeben ist. Paragraph 20 Absatz 1 führt Beispiele auf, in denen ein sachlicher Grund in der Regel anzunehmen ist (sog. Regelbeispiele).

Von besonderem Interesse für blinde und sehbehinderte Menschen ist der Paragraph 20 Absatz 1 Nr.1, wonach ein sachlicher Grund dann anzunehmen ist, wenn die unterschiedliche Behandlung der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient.

Was der Gesetzgeber mit dieser Formulierung meint, ist sehr schwierig zu beantworten und bedarf der Auslegung.

Welcher Intensität die drohende Gefahr sein muss und welche Schäden zu befürchten sein müssen, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Auch wird nicht deutlich, auf welche Sichtweise es eigentlich ankommt. Kann es genügen, dass der Vertragspartner, der nicht einschätzen kann, wie gut sich eine blinde Person zurechtfinden kann, aufgrund überzogener Sicherheitsbedenken auf das Argument der Gefahrenvermeidung beruft? Soll es Behinderten möglich sein, im Einzelfall die Gefahrlosigkeit geltend machen zu können? Auch wäre zu klären, wem Gefahren drohen müssen, damit die Regelung angewendet wird. Sind ausschließlich solche Fälle gemeint, in denen die Gefahrenabwehr dem abzuweisenden Behinderten droht? Oder darf der Anbieter auch sich selbst oder seine anderen Kunden schützen, und in welchem Umfang?

Die folgenden Fälle aus der Praxis sollen das Problem verdeutlichen:

Fall 1: Einer blinden Frau wird der Zutritt zu einem Schwimmbad mit der Begründung verwehrt, die Nutzung sei für sie allein zu gefährlich.

Fall 2: Einer Sehbehinderten wird die Teilnahme an einer Gruppenreise nicht gestattet, weil dies zu unüberschaubaren Gefahren führen würde.

Fall 3: Blinden wird die Nutzung von Fahrgeschäften in einem Vergnügungspark wegen der Verletzungsgefahr nicht erlaubt.

Fall 4: Einem Blinden wird die Mitfahrt in einem Bus mit dem Argument verboten, es sei zu gefährlich ihn allein mitzunehmen.

Dr. Petra Bungart  

(Fortsetzung in der nächsten Ausgabe

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Neues zum Steuerrecht

In den Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung 15/2006 informiert Thomas Drerup über einige gesetzliche Neuregelungen. Nachfolgend ist zu berichten: I. über das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26.4.2006 (BGBI.I S.1091), das bereits in Kraft getreten ist und somit auch schon für das Steuerjahr 2006 anzuwenden ist, II. über das Steueränderungsgesetz 2007, das erstmals für das Steuerjahr 2007 gilt.

I. Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung:

  1. Mit diesem Gesetz soll unter anderem die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit verbessert werden: Gemäß § 33c EStG, also nach dem bisher geltendem Recht, konnten Kinderbetreuungskosten, soweit sie einen Betrag von 1.548 Euro übersteigen, als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Die Regelung galt für Kinder bis zum 14. Lebensjahr sowie für betreute Personen, bei denen die Schwerbehinderung vor dem 27. Lebensjahr eingetreten ist und die außerstande sind, sich selbst zu unterhalten.
    Voraussetzung für die Vergünstigung war, dass entweder beide Elternteile berufstätig sind, oder der eine ist berufstätig und der andere ist schwerbehindert, krank oder in Ausbildung. Dieser § 33c EStG ist entfallen und ist ersetzt worden durch § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG. Danach können  –  unter denselben Voraussetzungen wie bei § 33c EStG  –  nun nicht bloß der die 1.548 Euro übersteigende Betrag, sondern zwei Drittel der tatsächlichen anfallenden Kinderbetreuungskosten, höchstens aber 4.000 Euro pro Kind, geltend gemacht werden, und dies nicht bloß als außergewöhnliche Belastung, sondern als Sonderausgaben.
    Ferner ist § 33c EStG ersetzt worden durch den neuen § 4f EStG, der den selbstständig tätigen Steuerpflichtigen  –  unter denselben Voraussetzungen wie nach dem neuen § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG  –  erlaubt, entsprechende Ausgaben als Betriebsausgaben abzuziehen.
    Darüber hinaus gibt es in § 10 Abs. 1 Nr. 5 eine Sonderregelung, die es erlaubt, bei Kindern vom 3. bis zum 6. Lebensjahr die Kinderbetreuungskosten wie in der Nr. 8 als Sonderausgaben geltend zu machen, wobei nun aber die einengende Voraussetzung  –  beide Elternteile sind berufstätig oder einer von ihnen ist krank  –  entfällt.
  2. So genannte "haushaltsnahe Dienstleistungen" konnten vom Auftraggeber schon nach geltendem Recht nach § 35a EStG in einem bestimmten Umfang steuermindernd geltend gemacht werden. Diese Möglichkeit ist nun in zweierlei Hinsicht erweitert worden. Besteht die Dienstleistung in einer Pflege im Sinne von SGB XI, so konnten 20 Prozent der Kosten geltend gemacht werden, und zwar bisher bis zu einem Höchstbetrag von 600 Euro, nunmehr aber geht es bis zu einem Höchstbetrag von 1.200 Euro. Darüber hinaus ist die Anwendbarkeit der Regelung auch auf den Fall erstreckt worden, dass die Pflege nicht im Haushalt des Steuerpflichtigen stattfindet, sondern im Haushalt des Pflegebedürftigen (falls dann der steuerpflichtige Angehörige die Kosten trägt). Damit soll gefördert werden, dass die Pflegebedürftigen so lange wie möglich zu Hause gepflegt und nicht ins Heim gebracht werden.
    Die andere Erweiterung des § 35a EStG besteht darin, dass die haushaltsnahen Dienstleistungen auf handwerkliche Tätigkeiten erweitert worden sind. Hier gilt allerdings der alte Höchstbetrag von 600 Euro.
    In der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/643) heißt es: "Satz 2 gilt für alle handwerklichen Tätigkeiten, unabhängig davon, ob es sich um regelmäßig vorzunehmende Renovierungsarbeiten oder um Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen handelt. Begünstigt sind handwerkliche Tätigkeiten, die von Mietern und Eigentümern für die zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung in Auftrag gegeben werden, z.B. das Streichen und Tapezieren von Innenwänden, die Beseitigung kleiner Schäden, die Erneuerung eines Bodenbelags (Teppichboden, Parkett oder Fliesen), die Modernisierung des Badezimmers oder der Austausch von Fenstern. Hierunter fallen auch Aufwendungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten auf dem Grundstück, z. B. Garten- und Wegebauarbeiten. (...) Satz 3 stellt klar, dass nur Arbeitskosten berücksichtigt sind  –  Materialkosten oder sonstige gelieferte Waren bleiben außer Ansatz."

II. Steueränderungsgesetz 2007. Das Gesetz sieht im wesentlichen folgende Verschlechterungen vor:

  1. Die Altersgrenze für die Gewährung von Kindergeld bzw. von kindbedingten Steuerfreibeträgen soll vom 27. auf das 25. Lebensjahr abgesenkt werden. Dies soll ab 2007 für alle Kinder ab dem Geburtsjahrgang 1983 gelten. Für Kinder des Geburtsjahrgangs 1982 wird die Grenze auf die Vollendung des 26. Lebensjahres abgesenkt. Für die älteren Kinder gilt das alte Recht, bis diese Kinder das 27. Lebensjahr erreicht haben.
    Ähnlich ändert sich auch die Grenze bei den schwerbehinderten Kindern, die ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können. Hier ist die Staffelung wie folgt: Derjenige, bei dem die Behinderung nach dem 1.1.2007 eintritt, wird als "Kind" auf Dauer nur noch dann berücksichtigt, wenn er zu diesem Zeitpunkt das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Für denjenigen, bei dem die Behinderung vor dem 1.1.2007 eingetreten ist, gilt die alte 27er Grenze noch weiter.
    Es versteht sich von selbst, dass die oben unter I.1. genannten Paragraphen zur Geltendmachung der Kinderbetreuungskosten ebenfalls in derselben Art geändert werden sollen.
  2. Die Pendlerpauschale soll grundsätzlich abgeschafft werden. Erhalten bleibt eine neue Härtefallregelung für Arbeitnehmer mit langen Wegstrecken (über 20 km). Für die behinderten Arbeitnehmer (ab GdB 70 oder GdB plus Merkzeichen G) bleibt die alte Regelung unverändert bestehen.
  3. Die Sparerfreibeträge sollen von 1.370/2.740 Euro (Alleinstehende/Verheiratete) sollen auf 750/1.500 Euro gesenkt werden.

Kasse muss unkonventionelle Behandlung zahlen

Krankenkassen müssen die Kosten für nicht zugelassene Behandlungen übernehmen, wenn diese von Medizinern empfohlen werden und dem Patienten massive Behinderungen drohen. Das geht aus einer Eil-Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt hervor, die am Freitag veröffentlicht wurde (Az S 21 KR 444/06 ER). Damit gab das Gericht einer 51 Jahre alten Frau Recht, der wegen einer chronischen Augenkrankheit die Erblindung droht.

Die Frau sprach auf die konventionelle Behandlung dieser Erkrankung mit Kortison nicht mehr an. In der Tübinger Universitätsklinik wurde ihr daher eine Interferontherapie empfohlen.

Die Krankenkasse wollte die Behandlung aber nicht bezahlen, weil diese nicht zugelassen und die Erkrankung nicht lebensbedrohlich sei.

Daraufhin zog die Frau vor Gericht und bekam Recht. Die Krankenkasse muss die Kosten vorläufig übernehmen. Ein Patient müsse auch dann mit einem nicht zugelassenen Medikament behandelt werden können, wenn ihm massive Funktionsverluste wie der der Sehkraft drohten. In dem Fall der 51-Jährigen müsse es zudem ausreichen, dass die Behandlung von ärztlichen Fachleuten befürwortet wurde.
(dpa)

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Allgemeines Gleichstellungsgesetz in Kraft

Das "Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG)" ist am 18.08.2006 in Kraft getreten. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass alle Normen schon sofort gelten. Etliche Regelungen werden erst später zur Wirkung kommen.

Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Karin Evers-Meyer, hat eine kleine Broschüre zum AGG vorgestellt, die speziell auf die Interessen aus Behindertensicht eingeht. Diese lesenswerte Broschüre ist im Internet unter www.behindertenbeauftragte.de zugänglich.

In der Broschüre heißt es, dass das Gesetz nicht nur Schutzwirkungen für die im Einzelfall betroffenen Personen entfaltet, sondern auch ganz allgemein eine Signalwirkung in der Gesellschaft hat. Das Gesetz ist "Ausdruck einer Kultur gegen Diskriminierung".

Wer ist geschützt?

Das AGG enthält keine Definition der "Behinderung". Unstreitig aber wird die in Paragraph 2 Abs. 1 SGB IX und in Paragraph 3 BGG wortgleich formulierte Begriffsbestimmung anzuwenden sein. Dies ist nicht ohne Folgen: Da die bisherigen Benachteiligungsverbote im Arbeitsleben (Paragraph 81 Abs. 2 SGB IX) nur für Schwerbehinderte (Paragraph 2 Abs. 2 SGB IX) galten, ist mit der Neuregelung im Abschnitt 2 des AGG der Kreis der geschützten Personen erweitert worden. Aber wie weit? Ist zum Beispiel auch eine Benachteiligung wegen "Krankheit" verboten?

Die Broschüre nennt auch Beispiele für Diskriminierungen. Beschrieben werden "Benachteiligungen" durch eine unmittelbar oder mittelbar diskriminierende Behandlung. Beschrieben werden auch die verbotenen "Belästigungen" (Beleidigungen, Bedrohungen, körperliche Übergriffe). Andererseits  –  so möchte ich klarstellen  –  enthält das AGG kein Gebot zur Beseitigung physischer Barrieren, auch wenn diese als "diskriminierend" empfunden werden (zum Beispiel der Rollstuhlfahrerzugang über den Umweg durchs Hinterhaus).

Der Schutz vor Diskriminierung gilt in den Bereichen Arbeitsmarkt/Berufsleben, Massengeschäfte und private Versicherungsgeschäfte. Wie weit der Schutz geht und welche Auslegungen möglich sind, ist recht kompliziert.

Welche Ansprüche kann der Diskriminierte geltend machen?

Allgemein gilt: Bei "Belästigungen" (Beleidigungen, Handgreiflichkeiten) kann, wenn Beschwerden allein nicht helfen, auf Beseitigung (etwa einer beleidigenden Inschrift auf der Wand) und Unterlassung (bei Wiederholungsgefahr) und auf Schadensersatz (Schmerzensgeld) geklagt werden. Belästigte Beschäftigte dürfen unter bestimmten Voraussetzungen auch ihre Arbeit verweigern.

(Gekürzt aus: Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung Nr. 16/2006)

Über die Landesvereine zu beziehen ist der Ratgeber Recht  –  Die Publikation informiert über rechtliche Regelungen für blinde und sehbehinderte Menschen. Format: A5, 64 Seiten mit umfangreichem Anschriftenverzeichnis. Einzelpreis: 1,05 €. Kassetten-Ausgabe und CD-ROM im DAISY-Format: jeweils 5,00 €.

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Stellungnahme gegen Sozialgerichtsgebühren

In der vorigen Legislaturperiode hatte der Bundesrat ein Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes eingebracht, in dem unter anderem vorgesehen war, dass die bisher bestehende Befreiung von den Gerichtsgebühren aufgehoben werden sollte. Der Protest des DBSV gegen diese Regelung hatte insoweit Erfolg, als die Regierungsparteien im Bundestag den Gesetzentwurf ablehnten. Nun haben die Länder angesichts der neuen politischen Machtverteilung einen erneuten Vorstoß unternommen und denselben Entwurf noch einmal in den Bundestag eingebracht. Natürlich hat der DBSV auch jetzt wieder in einer Stellungnahme Position bezogen:

Der DBSV lehnt die vom Bundesrat erneut (vgl. BT-Drucksache 15/2722) geforderte Aufhebung der Kostenfreiheit im sozialgerichtlichen Verfahren nach wie vor ab, und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Bei den von blinden und sehbehinderten Menschen geführten sozialgerichtlichen Verfahren handelt es sich in der Mehrzahl um Streitigkeiten mit Krankenkassen, die die Gewährung eines beantragten Hilfsmittels (z.B. ein Blindenlesegerät, eine Braille-Zeile, ein Bildschirmlesegerät, ein Farberkennungsgerät, einen Blindenführhund) verweigern. In diesen Verfahren müssen die Kläger den individuellen Bedarf nachweisen, das heißt: Sie müssen die im Einzelfall durch die Nutzung des Hilfsmittels konkret zu erreichenden Vorteile in ausreichendem Maße belegen und müssen ihre Fähigkeit, mit dem Hilfsmittel nutzbringend umzugehen, bewerten lassen. Solche Verfahren sind für die Betroffenen insbesondere deshalb belastend, weil sie vor Gericht persönlich erscheinen und ihre persönlichen Handicaps und ihre privaten Bedürfnisse offenbaren müssen. Viele verlässt auch schon nach zwei Ablehnungen (Bescheid und Widerspruchsbescheid) vorzeitig der Mut, um die Sache weiter zu verfolgen. Nach unseren Erfahrungen enden jedoch die meisten dieser Klagen erfolgreich. Die Einführung einer Gerichtsgebühr würde eine nicht zu unterschätzende psychische Hemmschwelle aufbauen: Die Personen, um die es geht, haben mit den Gerichten normalerweise nichts zu tun und wollen auch nichts mit diesen zu tun haben. In die Situation, Klage erheben zu müssen, geraten sie hingegen sehr leicht, insbesondere dann, wenn die Krankenkassen Anträge auf bestimmte Hilfsmittel pauschal ablehnen (und dabei zum Teil die höchstrichterliche Rechtsprechung ignorieren). Diese Fälle haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen (Beispiel: Das vom BSG als Hilfsmittel anerkannte Farberkennungsgerät wird von den Krankenkassen generell abgelehnt.) Für den Betroffenen bedeutet die Gebührenpflicht ein Signal, dass die Korrektur des ihn belastenden Bescheides seine Privatangelegenheit ist, an der niemand anderes als er selber ein Interesse hat. Dies demotiviert und hält davon ab, begründete Ansprüche durchzusetzen. Die Schaffung einer solchen Hemmschwelle kann deshalb nach unserer Ansicht nicht aus "sozialpolitischen Gründen wünschenswert" sein, wie es (erneut) in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt.
  2. An zweiter Stelle der von blinden und sehbehinderten Menschen erhobenen Klagen stehen solche um Anerkennung als "blind" oder "hochgradig sehbehindert" (Abschnitt 23 der AHP). In fast allen dieser Fälle werden Anträge mit Hilfe eines unterstützenden ärztlichen Attests gestellt. Die Streitigkeiten entwickeln sich also fast ausschließlich aus Korrekturen des Attests durch Gutachter, die sich gegebenenfalls auch noch gegenseitig widersprechen. Die Kosten dieser Streitigkeiten auf die Betroffenen zu verlagern, kann ebenfalls nach unserer Meinung nicht "aus sozialpolitischen Gründen wünschenswert" sein.
  3. Das von den Verfassern des Gesetzentwurfs in erster Linie verfolgte Ziel, "die seit Jahren fortlaufend anwachsende Flut aussichtsloser, angesichts der Gerichtskostenfreiheit aber gleichwohl angestrengter Gerichtsverfahren einzudämmen" zwingt nicht zu einer Abschaffung der Gerichtskostenfreiheit zu Lasten aller, die mit der Klage eine reale Chance zur Durchsetzung ihrer Rechte wahrnehmen. Es würde ausreichen und wäre im Ergebnis effektiver, wenn man gezielt vorgehen würde und die hier gemeinten Klagelawinen, bei denen es den auslösenden Akteuren nicht um Rechtsverfolgung geht, sondern um politische Aktion, in einer gesetzlichen Norm definiert und wenn man eine rechtliche Grundlage dafür schafft, dass sie im konkreten Fall durch eine zu veröffentlichende richterliche Allgemeinverfügung mit Kosten belastet werden. Zumindest sollte der Versuch unternommen werden, mit politischen Mitteln einen Ehrenkodex für Verbände zu schaffen, der den offensichtlichen Missbrauch des Rechtswegs untersagt.

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Positionen vorgetragen

Informationen aus den Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung 8/2006

Mit Schreiben vom 27.02.2006 hatte der DBSV die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt um ein persönliches Gespräch zu einer Reihe von Themen gebeten. In einem Vorgespräch hatten die Vertreter des DBSV - Herr Lubnau, Herr Bethke und Herr Drerup - kürzlich Gelegenheit, ihre Positionen zu einer Reihe von aktuellen Problemstellungen vorzutragen.

1. Finanzierung von LPF

Aus der Sicht des DBSV haben sich die Dinge höchst unbefriedigend entwickelt: Gemäß § 26 SGB IX wird LPF den Leistungen der medizinischen Rehabilitation zugeordnet, für entsprechende Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fehlen jedoch eindeutige Rechtsgrundlagen im SGB V. Der vom SG Dresden vorgeschlagene (inzwischen vom SG Hamburg abgelehnte) Weg einer Kann-Leistung aufgrund § 43 SGB V ist weiterhin Gegenstand von Verhandlungen über die Umsetzung eines mit Unterstützung des BMG erreichten Kompromisses, dem die GKV-Spitzenverbände - allerdings mit Ausnahme des AOK-Bundesverbandes - grundsätzlich zugestimmt haben. Die bisherigen Gespräche mit den beteiligten GKV-Verbänden haben dann ergeben, dass sich die Krankenkassen mit den Vorschlägen des DBSV zur Abgrenzung der Leistung (Unterscheidung zwischen medizinischer und sozialer Reha) erst gar nicht befassen wollen, das heißt: eine Leistung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation wird abgelehnt. Vielmehr wird ausschließlich eine der Ergotherapie angenäherte Leistung für finanzierbar gehalten. Auch hierzu hat der DBSV einen Vorschlag eingebracht, auf den die GKV-Verbände bisher noch nicht reagiert haben.

2. Qualitätssicherung

Nach Auffassung des DBSV gehört es zu den Aufgaben der Leistungsträger, sich um die Qualität der Leistungen zu kümmern. Insbesondere bei der Versorgung Blinder mit den nicht gerade billigen Führhunden sind qualitätssichernde Maßnahmen vorzunehmen, und zwar nicht nur zum Zeitpunkt der Hilfsmittelbereitstellung, sondern während der gesamten Zeit der Hilfsmittelnutzung. Zwar sind mit der Anerkennung der DBSV-Qualitätskriterien durch die Krankenkassen und mit der Aufnahme von Gespannprüfungen schon wichtige Schritte getan, der Weg muss jedoch noch weiter gehen. Immer noch nicht werden Gespannprüfungen flächendeckend durchgeführt.

Über die Erforderlichkeit von Nachprüfungen und über deren Durchführung muss mit den Krankenkassen noch gesprochen werden. Nach wie vor unverantwortlich ist es, dass es keine geregelte Qualifikation der Leistungserbringer gibt. Der DBSV hat den GKV-Verbänden eine Ausbildungs- und Prüfungsordnung (APO) für Blindenführhund-Ausbilder vorgeschlagen, die der Anerkennung und der Umsetzung bedarf, das heißt: Die entsprechend nachgewiesene Qualifikation muss zwingende Voraussetzung dafür werden, dass ein Leistungsvertrag abgeschlossen wird.

3. Sehhilfen

Gegen den Protest sowohl des DBSV als auch der Verbände der Augenärzte und der Optiker wurde § 33 SGB V zum 01.01.2004 dahin geändert, dass den erwachsenen Versicherten keine Sehhilfen mehr gewährt werden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn dem Betreffenden nach Korrektur eine Sehschärfe von 0,3 und weniger verbleibt. An dieser Regelung war und ist insbesondere zu kritisieren, dass der Ausschluss der Sehhilfen aus den GKV-Leistungen ohne soziale Abfederung vorgenommen wurde, und dass die Anknüpfung der Ausnahmeregelung an die Sehschärfe nach der (dann versagten) Korrektur geradezu paradox erscheint.

4. Festbeträge

Der DBSV sieht ein Problem darin, dass die Krankenkassen nicht selten eine Leistung in Höhe des Festbetrags bewilligen, ohne den Versicherten darauf hinzuweisen, wo und wie er das Hilfsmittel zu diesem Betrag erwerben kann. Dies widerspricht dem Sachleistungsprinzip.

Die häufigsten Beschwerden über festbetragsgebundene Leistungsentscheidungen der Krankenkassen erreichen den DBSV im Zusammenhang mit der Versorgung blinder und sehbehinderter Patienten mit Hörgeräten.

Dem DBSV sind Einzelfälle bekannt, in denen erst die hochwertige Versorgung mit einem Hörgerät - jedenfalls subjektiv - eine markante Verbesserung des Allgemeinbefindens und des Aktivitätspotentials des blinden - und deshalb auf ein gutes Hören besonders angewiesenen - Patienten ergab. Allerdings konnte dieser Befund bisher nicht objektiviert und wissenschaftlich abgesichert werden. Die Bemühungen des DBSV um eine wissenschaftliche Klärung scheiterten zunächst daran, dass Ophthalmologen und Otologen, wenn sie einzeln angesprochen werden, sich nicht für zuständig erklärten. Als dann auf Bitte des DBSV in der Uni-Klinik Heidelberg erstmals eine gemeinsame Untersuchung von Vertretern beider Fachgebiete vorgenommen wurde, endete diese mit einem - dann mündlich mitgeteilten - negativen Ergebnis. Der DBSV hält es trotzdem für angebracht, die Klärungsbemühungen fortzusetzen.

5. Ärztliche Verordnungen, Begutachtungen

Der DBSV weist darauf hin, dass vor allem Blindenhilfsmittel über Jahrzehnte hinweg ohne vorherige augenärztliche Verordnung von den Krankenkassen bewilligt wurden, wenn der Krankenkasse die Blindheit des Versicherten bekannt war. Eine Verordnungspflicht ergibt sich, so die Ansicht des DBSV, weder aus § 33 SGB V, noch daraus, dass der in § 73 SGB V beschriebene Aufgabenkatalog der Kassenärzte auch die Verordnung von Hilfsmitteln einschließt.

Die Auswahl über die individuell zu gewährenden Hilfsmittel zu treffen, war also nicht Aufgabe der Augenärzte und es kann auch bis heute noch nicht davon ausgegangen werden, dass bei den Augenärzten eine ausreichende Fachkompetenz im Bereich der Hilfsmittelversorgung allgemein vorliegt.

Wünschenswert wäre es, wenn für jeden sehbehinderten oder blinden Versicherten von speziell dazu befähigten Fachkräften ein Gesamtkonzept über die zu erbringenden Leistungen erstellt würde, das für den oder die Leistungsträger dann maßgeblich ist.

Ein solches Verfahren wird - zumindest teilweise - bereits im Rahmen der beruflichen Eingliederung, das heißt bei der technischen Arbeitsplatzausstattung, durch spezialisierte Fachkräfte der Integrationsämter zufrieden stellend praktiziert.

Vorstellbar wäre demnach auch, dass die Krankenkassen, die mit der Bildung von Kompetenzzentren bereits den Weg einer fachlichen Spezialisierung eingeschlagen haben, diesen in Richtung eines spezialisierten, gegebenenfalls fachübergreifenden und integrierten Konzepts fortsetzen, wobei allerdings auf den unmittelbaren Kontakt der Gutachter zum Leistungsempfänger nicht verzichtet werden darf.

6. Leistungen der Masseure

Die blinden und sehbehinderten Masseure klagen darüber, dass ihre Leistungen nicht nur restriktiv, sondern zum Teil praktisch gar nicht mehr verordnet werden. Die Bedeutung der Massage als Heilmittel wird offenbar von vielen Ärzten nicht wahrgenommen. Sie wird nicht unterschieden von Wellness-Angeboten. Nach einer Umfrage unter Ärzten, auf welche GKV-Leistungen man am ehesten verzichten könne, ergab sich, dass die Massage auf Platz 2 der Liste stand. In den Hausarztverträgen der BEK wurden die Hausärzte verpflichtet, von der Verordnung "passiver Maßnahmen" Abstand zu nehmen. In Baden-Württemberg, so wurde berichtet, sollen viele Ärzte bei der Verordnung von Massagen die vereinbarten Richtgrößen ohne Not drastisch unterschritten haben.

Herr Lubnau appelliert an das Ministerium, diesen Entwicklungen nachhaltig entgegen zu steuern.

Er verweist als Beispiel auf die positiven Erfahrungen des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Dressler mit der heilenden und nebenwirkungsfreien Wirkung der Massage.

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Reformvorschläge zum Merkzeichen B

Wer das Merkzeichen B im Schwerbehindertenausweis stehen hat, findet auf der Vorderseite des Ausweises nicht nur den Großbuchstaben B vor, sondern auch den Satz: "Die Notwendigkeit ständiger Begleitung ist nachgewiesen". Was gut gemeint ist - jeder soll wissen, dass der Betreffende einen Anspruch auf kostenlose Beförderung einer Begleitperson im öffentlichen Nah- und Fernverkehr hat -, hat sich insbesondere für mobilitätsgeschulte Blinde, die allein reisen können und wollen, als Bumerang erwiesen. Aber auch bei ganz anderen Gelegenheiten als auf Reisen, nämlich im Beruf (der Gang zur Kantine) oder bei Freizeitaktivitäten (Benutzung eines Schwimmbads) sind Fälle aufgetreten, in denen die Ausweisaufschrift zu Diskriminierungen führte. Schon vor sechs Jahren hatte der DBSV deshalb eine andere Gestaltung des Schwerbehindertenausweises gefordert, und darüber hinaus auch eine Änderung des §146 Abs.2 SGB IX.

Nach dieser Vorschrift erhalten nur solche Schwerbehinderte das Merkzeichen B, "die bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind".

Damit aber wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass Blinde zum Beispiel während der Bahnfahrt auch ohne Begleitung auskommen, am Zielort jedoch auf eine Begleitperson erheblich angewiesen sein können. Die Forderung des DBSV wurde jedoch abgelehnt mit der Begründung, eine Ausweitung des nach dem geltenden Gesetz anspruchsberechtigten Personenkreises sei nicht zu vertreten.

Nun macht sich seit ein paar Monaten die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Frau Karin Evers-Meyer (SPD), und auch der behindertenpolitische Sprecher der CDU, der Abgeordnete Hubert Hüppe, für eine Änderung des Gesetzes stark.

Diese Initiativen sind sehr zu begrüßen, werden jedoch voraussichtlich auf denselben Widerstand stoßen wie der DBSV.

Aber ein Erfolg wäre es ja schon, wenn wenigstens erreicht würde, dass der ominöse und aus unserer Sicht überflüssige Satz von der Vorderseite des Ausweises gänzlich verschwindet (allein das Wort "ständige" vor "Begleitung" zu streichen, dürfte nicht reichen). Sinnvoll wäre vielleicht auch eine Aufschrift des Inhalts, dass der Ausweis allein dem Inhaber zur Inanspruchnahme von Rechten, jedoch nicht anderen Personen zur Rechtfertigung von Beschränkungen dient.

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Befreiung von der Rundfunkgebühr rechtzeitig beantragen

Die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) versendet keine Erinnerungen mehr, wenn die Befreiung von den Rundfunkgebühren abläuft; darüber informierte die "Gegenwart" bereits. Der entsprechende Antrag muss also rechtzeitig gestellt werden.

Die Formulare liegen laut Aussage der GEZ bei den Arbeits- bzw. Sozialämtern vor. Man kann sie auch bei der GEZ downloaden. Die Telefonnummer der GEZ: (02 21) 50 61-0.

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Nur mit Hilfe zur Beihilfe?

Seit vor gut einem Jahr das Hessische Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft trat, sind Landesbehörden verpflichtet, Benachteiligungen von Menschen mit Handicap abzubauen. In der Praxis jedoch stoßen ausgerechnet die eigenen Bediensteten auf neue Barrieren. Das musste jetzt Keyvan Dahesch, bis 2002 Beamter im Landesamt für Versorgung und Soziales, erfahren. Wie gewohnt stellte der in Frankfurt lebende Pensionär im vergangenen November Antrag auf Beihilfe zu seinen Krankheitskosten. Wie immer formlos, denn den Vordruck kann er ohne Hilfe nicht ausfüllen: Der 64-Jährige ist von Geburt an blind. Das Regierungspräsidium Darmstadt hatte seine Anträge stets akzeptiert und ihm die Auslagen für Arztrechnungen und Medikamente zur Hälfte erstattet. Durch die Zentralisierung der Beihilfestellen ist seit Oktober 2005 jedoch das Regierungspräsidium Kassel zuständig. Von dort wurde Dahesch jetzt mitgeteilt, sein formloser Antrag werde zwar dieses eine Mal "ausnahmsweise" bearbeitet. Künftig aber müsse er die vorgesehenen mehrseitigen Formblätter verwenden.

Auf Außenstehenden angewiesen

Da es diese weder in Blindenschrift noch als Tonkassette gibt, müsste Dahesch, dessen Frau ebenfalls sehbehindert ist, eine außenstehende Person bitten, ihm beim Ausfüllen zu helfen. Das Verhalten der Behörde ist für ihn ein klarer Verstoß gegen das neue Behindertengleichstellungsgesetz. Denn nach diesem haben Blinde und Sehbehinderte Anspruch darauf, dass ihnen Formulare "in einer für sie wahrnehmbaren Form" zugänglich gemacht werden. Dagmar Frey, Leiterin der Beihilfestelle beim Regierungspräsidium Kassel, will sich nicht zu Einzelheiten des Falles äußern. Ihr zufolge bestehe man auf der Verwendung der maschinenlesbaren Vordrucke, weil sämtliche Beihilfeanträge nur noch elektronisch bearbeitet würden.

Dahesch, der bis heute als freier Journalist tätig ist, ließ die Sache nicht auf sich beruhen. Er wandte sich an das Innenministerium, das für die Beihilfe zuständig ist. Hier wurde ihm schnelle Abhilfe zugesagt. Abteilungsleiter und Minister hätten bereits eine entsprechende Anordnung herausgegeben, erklärt Karin Gätcke, Referentin von Innenminister Volker Bouffier (CDU). Angestrebt werde nicht nur eine kurzfristige Lösung für Dahesch, sondern einen Weg, wie allen Sehbehinderten "praktisch und unkonventionell das Antragsverfahren erleichtert werden kann". Wie dies in der Praxis aussehen könnte, sei allerdings noch offen. Das Verhalten der Kasseler Beihilfestelle nennt Gätcke "unglücklich und unsensibel". Mit der Umstellung auf elektronische Bearbeitung habe das nichts zu tun. Im Gegenteil bedeute das neue Verfahren eher eine Entlastung für die bearbeitenden Beamten. Offenbar hätten die zuständigen Mitarbeiter "im Eifer des Gefechtes" und im Zuge von Umstrukturierungen falsch reagiert.

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Zum so genannten "Hausarztvertrag"

Zu diesem Thema äußert sich DBSV-Rechtsreferent Karl Thomas Drerup in den Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung wie folgt:

Seit Inkrafttreten der §§ 140a ff SGB V am 1.1.2000 haben die gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit, ihren Versicherten Verträge über eine "integrierte Versorgung" anzubieten. Im Kommentar von Peters heißt es dazu: "Integrierte Versorgung (ist eine) für den Versicherten freiwillige Versorgungsform, die (...) die bisher scharfe Trennung zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung gezielt durchbrechen soll, um die Voraussetzungen für eine stärker an den Versorgungsbedürfnissen des Patienten orientierte Behandlung zu verbessern. Von der Kooperation zwischen Haus- und Fachärzten, zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringern sowie zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich unter gebührender Berücksichtigung der medizinischen Rehabilitation erwartet der Gesetzgeber nicht nur eine Aktivierung von Produktionsfortschritten im Rahmen der vertragsärztlichen, sondern vor allem - speziell durch Vermeidung von Doppeluntersuchungen - auch die Mobilisierung von Einsparmöglichkeiten bzw. Wirtschaftlichkeitsreserven."

Vereinfacht gesagt: Der Patient geht nicht mehr zu einzelnen Ärzten, sondern zu einem Ärztezentrum oder zumindest zu einem vertraglich verbundenen Kollektiv von Ärzten und anderen Leistungserbringern. Der Patient verpflichtet sich - freiwillig -, sich ausschließlich von diesem Kollektiv ärztlich versorgen zu lassen und erhält als Gegenleistung Vergünstigungen bei den Zuzahlungen.

Ein paar Jahre später ist man auf die Idee gekommen, dass man dieselben Ziele zumindest teilweise auch auf eine etwas einfachere Weise erreichen kann: Mit dem ab 1.1.2004 geltenden § 73b SGB V wurde den Krankenkassen die Möglichkeit eröffnet, ihren Versicherten Verträge über eine "hausarztzentrierte Versorgung" anzubieten. Darin kann sich der Versicherte - freiwillig - auf mindestens 1 Jahr verpflichten, für jede medizinische Leistung, wenn es nicht gerade ein Notfall ist, erst einen bestimmten vertraglich festgelegten Hausarzt aufzusuchen, der dann erforderlichenfalls den Patienten an den richtigen Facharzt überweist. Der Hausarzt wiederum verpflichtet sich gegenüber der Krankenkasse, eine ganze Reihe bestimmter Voraussetzungen zu erfüllen, die ich hier nicht darstellen kann.

Mit dem Angebot solcher Verträge nach § 73b SGB V hat sich vor allem die Barmer Ersatzkasse (BEK) als Vorreiter profiliert. Sie hat laut eigenen Angaben bis Dezember 2005 bereits 1,4 Millionen Barmer-Versicherte für den von ihr angebotenen Hausarztvertrag gewonnen. Aber was haben diese 1,4 Millionen Versicherten da unterschrieben?

Der Vertrag der BEK sieht Folgendes vor:

Auf der einen Seite braucht der Versicherte die Praxisgebühr nur einmal im Jahr zu entrichten. Er spart also, wenn er in jedem Quartal ärztliche Leistungen in Anspruch nimmt, im Höchstfall 30 Euro im Jahr.

Auf der anderen Seite steht: "Sie geben die Wahlfreiheit ihres Arztes auf und müssen künftig immer erst Ihren Hausarzt aufsuchen (Ausnahme: Augenarzt, Gynäkologe). Dieser entscheidet dann über die weiteren einzuleitenden Maßnahmen."

Darüber hinaus hat der Versicherte die folgenden "drei Einsparmaßnahmen" hinzunehmen:

  1. Optimierung des indikationsbezogenen Heilmitteleinsatzes,
  2. Reduktion der Heilmittelverordnungen außerhalb des Regelfalls bei teilnehmenden Versicherten,
  3. Reduktion der Heilmittelverordnungen insbesondere bei Maßnahmen der Physikalischen Therapie im Hinblick auf den Einsatz von passiven Hilfsmitteln, Vereinbarung von Empfehlungslisten mit dem Ziel, den Vorrang aktiver vor passiver Heilmittel umzusetzen; hierbei kommt in geeigneten Fällen eine stärkere Wahrnehmung von eigenverantwortlichen Maßnahmen zum Tragen.

Was bedeutet das? Der Hausarzt, zu dem der Versicherte geht, hat sich gegenüber der BEK verpflichtet, Heilmittel nur noch sehr zurückhaltend zu verordnen, und so genannte passive Heilmittel wie Massagen und Warmpackungen am besten erst gar nicht. (Dies wird oben in der Nr. 3 angesprochen). "Optimierung" \ des Heilmitteleinsatzes (Nr. 1) heißt dann, dass des Heilmitteleinsatzes (Nr.1) heißt dann, dass die wenigen dann noch verordneten Heilmittel besser aufeinander abgestimmt werden.

"Reduktion der Heilmittelverordnungen außerhalb des Regelfalls" (Nr. 2) bedeutet, dass bei Patienten, die eigentlich über das übliche Maß hinaus Heilmittel bräuchten - dies kann insbesondere bei älteren Patienten der Fall sein, dieser Sonderbedarf nicht mehr berücksichtigt wird. So jedenfalls verstehe ich die Erläuterungen, die BEK zu ihren "drei Einsparmaßnahmen" gibt.

Mit diesen Einsparmaßnahmen tritt die BEK den Leistungsanbietern im Bereich der Physikalischen Therapie, insbesondere den Masseuren (und natürlich auch unseren blinden Masseuren) heftig auf die Zehen.

Der Berufsverband VPT ist deshalb mit Handblättern, in denen sie von den BEK-Verträgen abrät, zum Gegenangriff übergegangen. Wie es scheint, nicht mit großem Erfolg. Was hat die 1,4 Millionen Versicherten bewogen, den Vertrag zu unterschreiben?

Gewiss unterschiedliche Gründe: Es gibt Versicherte, die so knapp bei Kasse sind, dass sie den Nachlass von 30 Euro im Jahr, auch wenn es nicht viel ist, sich nicht entgehen lassen wollen, ferner solche, die bei solchen Angeboten wie unter Zwang handeln und die sich beispielsweise auch auf Steuerersparnisse stürzen, selbst wenn sie dafür unnütz Geld ausgeben müssen.

Nicht auszuschließen ist, dass es unter den Versicherten auch Idealisten gibt, die den Vertrag unterschrieben haben, um zur Senkung der Ausgaben der Krankenversicherung beizutragen. Die meisten aber, so schätze ich, gehen den Vertrag nur deshalb ein, weil sie es so haben wollen wie früher, als der Gang zum Arzt nicht mit dem Griff ins Portemonnaie verbunden war.

Das ist alles verständlich. Aber der Vorgang hinterlässt bei objektiver Betrachtung keinen guten Beigeschmack. Die Verordnung von Heilmitteln ist nämlich schon längst bis ins Kleinste hinein und unter strenger Beachtung der Wirtschaftlichkeit in den vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen beschlossenen Heilmittel-Richtlinien geregelt.

Die BEK-Vertragsbedingungen aber, und darauf weist der VPT mit Recht hin, untergraben diese Heilmittel-Richtlinien bzw. stellen sie in Frage.

Darüber hinaus, so meine Auffassung, war es auch nicht die Absicht des Gesetzgebers, über das Mittel der neuen Verträge und somit durch die Hintertür die bestehenden gesetzlichen Leistungsansprüche zu verringern. In § 140b Abs.3 SGB V heißt es ausdrücklich: "Die Vertragspartner haben die Erfüllung der Leistungsansprüche der Versicherten nach den §§ 2 und 11 bis 62 in dem Maße zu gewährleisten, zu dem die Leistungserbringer nach diesem Kapitel verpflichtet sind." - also auch zu den Heilmittel-Leistungen gemäß § 32 SGB V.

Dass es auch anders geht, belegt der im Internet unter www.aok-gesundheitspartner.de zugängliche Hausarztvertrag der AOK Bayern, der die in den BEK-Verträgen enthaltenen Einschränkungen nicht vorsieht. Es sei deshalb allen Versicherten geraten, einen Hausarztvertrag nur dann zu unterschreiben, wenn sie sicher sind, dass sie weder sich noch anderen damit Nachteile bescheren.

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Dürfen Blindenführhunde mitfahren?

Sind Taxis und Reiseunternehmen verpflichtet, Blindenführhunde zu befördern?

Taxis
Paragraph 22 Personenbeförderungsgesetz (PbefG) lautet:
,,Der Unternehmer ist zur Beförderung verpflichtet, wenn
1. die Beförderungsbedingungen eingehalten werden,
2. die Beförderung mit den regelmäßig eingesetzten Beförderungsmitteln möglich ist und
3. die Beförderung nicht durch Umstände verhindert wird, die der Unternehmer nicht abwenden und denen er auch nicht abhelfen kann."
Daraus folgt, dass Taxiunternehmen grundsätzlich verpflichtet sind, auch einen blinden Fahrgast mit Blindenführhund zu befördern. Ein genereller Ausschluss in den Beförderungsbedingungen wäre rechtswidrig. Zulässig ist jedoch, dass das Unternehmen in seinen Beförderungsbedingungen die Regelung trifft, dass die Beförderung von Fahrgästen mit Hunden nur in extra dafür eingerichteten Kraftdroschken stattfindet, die das Unternehmen dann auch vorhalten muss. Es ist deshalb sinnvoll, bei der Bestellung des Taxis anzugeben, dass ein Führhund mit befördert werden soll.

Reiseunternehmen
Für diese gibt es keine staatlichen Regelungen, die sie verpflichten, den Zugang für Blindenführhunde zu ermöglichen. Wenn dass jetzt noch im Entwurf vorliegende Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in Kraft tritt, besteht allerdings die Chance, in noch unter den Verbänden auszuhandelnden "Zielvereinbarungen" gemäß Paragraph 5 BGG regeln zu lassen, in welcher Weise die Angebote der Reiseunternehmen barrierefrei sein müssen. Zur Barrierefreiheit gehört nach unserer Auffassung auch der ungehinderte Zutritt für Blindenführhunde. Der DBSV setzt sich zur Zeit dafür ein, dass dies im BGG noch deutlicher, und zwar durch eine ausdrückliche Regelung, formuliert wird.

Zur Erforderlichkeit eines Blindenführhundes als medizinisches Hilfsmittel
im Sinne § 33 SGB V

hier: Gutachterliche Stellungnahme

von Erwin Roth, Richter am LG iR,
im Auftrag des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes
e.V., Bismarckallee 30, 53173 Bonn

Zur Fragestellung:
 
Gemäß § 33 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit "Hilfsmitteln", die im Einzelfall "erforderlich" sind, unter anderem "um eine Behinderung auszugleichen". Das BSG hat in einer grundlegenden Entscheidung - Urteil vom 25.2.1981 - 5a/5 RKn
35/78; BSGE 51,206 - den Blindenführhund als "Hilfsmittel" in diesem Sinne anerkannt.

Seit dem war es unumstritten, daß Blinde oder hochgradig Sehbehinderte, wenn sie zur Haltung und zum Einsatz eines Führhundes willens und in der Lage sind, gegenüber ihrer
gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch haben, mit einem Führhund versorgt und in dessen Gebrauch geschult zu werden. Dies galt auch in Ansehung der möglichen Inanspruchnahme anderer Mobilitätshilfen, namentlich des  Langstocks, der verbunden mit einer Schulung in Orientierung und Mobilität von den Krankenkassen ebenfalls gewährt wird. Denn der Blindenführhund ist von allen Mobilitätshilfen für Blinde und hochgradig Sehbehinderte am unmittelbarsten und weitgehendsten geeignet, die "Behinderung", näm-lich den Sehverlust, so weit wie möglich auszugleichen.

Neuerdings, das heißt seit Bekanntwerden eines noch nicht rechtskräftigen Urteils des SG Hamburg vom 26.9.2001 - S 23 KR 672/99, wird allerdings von einigen Krankenkassen die Auffassung vertreten, die Gewährung eines Langstocks mit Schulung in Orientierung und Mobilität sei gegenüber der Versorgung mit einem Führhund prinzipiell eine kostengünsti-gere Alternative. Diese Auffassung unterstellt, der Einsatz des Langstocks sei zum
Ausgleich der Behinderung in gleichem Maße "ausreichend" (vgl. § 12 Abs. 1 SGB V) wie der Blindenführhund und sei deshalb als gleichrangige Alternative anzusehen.

Diese Position ist, wie dieses Gutachten zeigen wird, nicht haltbar. Mit dem Einsatz eines Führhundes wird im Vergleich zum Einsatz eines Langstocks ein weit höherer Grad an
Behinderungsausgleich erreicht, und zwar in folgenden Punkten:

1. Rückgewinnung der optischen Orientierung

Der Führhund kann sehen und einmal Gesehenes bei der nächsten Begegnung wiederer-kennen. Damit tritt der Sehsinn des Hundes unmittelbar an die stelle des (weggefallenen) menschlichen Sehsinns und gibt dem Blinden oder hochgradig Sehbehinderten
seine optische Fernwahrnehmung bzw. optische Orientierungsfähigkeit zurück. Demge-genüber beschränkt sich die Funktion des Blindenlangstocks auf die einer "verlängerten
Tasthand"; der Langstock erweitert den Tastraum auf die Länge des Stockes. Durch die Möglichkeit der indirekten optischen Fernwahrnehmung wird der Blindenführhundhalter in höherem Maße als der Langstock-Geher von der akustischen Orientierung, insbesondere der auditiven Lokalisation von Gegenständen unabhängig, einer Fähigkeit im übrigen, die viele Nichtsehende nicht oder nicht mehr in ausreichendem Umfang zu erwerben in der
Lage sind. Außerdem wird die akustische Orientierung durch den im modernen Straßen-verkehr hohen Lärmpegel zusätzlich beeinträchtigt.

Durch seine Fähigkeit. Hindernisse vor jeder körperlichen Berührung durch den Blinden oder hochgradig Sehbehinderten zu erkennen, einzuschätzen und zu umgehen sowie markante Punkte (z.B. Treppen, Türen, Verkehrsmittel, bestimmte Gebäude) auf
entsprechendes Hörzeichen aufzusuchen und anzuzeigen, ermöglicht der Führhund sei-nem Halter eine entspanntere, sicherere und schnellere Fortbewegung als mit dem Lang-stock, so daß die Fortbewegung derjenigen eines Sehenden näher kommt. Weiter kann sich der Führhundhalter auch im offenen unwegsamen Gelände bzw. in einer Umgebung ohne Leitlinien (z.B. bei Schneedecke) und in Menschenansammlungen) frei und sicher
bewegen, was mit dem Langstock nur schwer oder gar nicht möglich ist.

2. Rückgewinnung der optisch kontrollierten Sicherheit:
 
Die durch den Blindenführhund gewonnene Sicherheit entspricht am ehesten derjenigen, die eigenes Sehvermögen mit sich bringt.

Während der Langstock-Geher sich an Leitlinien entlang tasten und hierbei entdeckte Hin-dernisse unter Einsatz von Tast- und Gehörsinn umgehen muß, kann der Führhund seinen Halter, noch bevor dieser an einen Gegenstand anstoßen oder über eine Stufe
stolpern würde, an dem Hindernis vorbeiführen oder die Stufe durch Stehenbleiben anzei-gen. Der Blindenführhund vermag auch mit dem Langstock nicht erfaßbare aber optisch erkennbare Abgrenzungen von Gehweg und Fahrbahn zu erkennen, etwa bei auf oder nahe Null abgesenkten und auch sonst nicht taktil gekennzeichneten Bordsteinkanten.
Bei der Fahrbahnüberquerung sieht der Führhund auch von seinem Halter nicht zu hören-de herannahende Fahrzeuge (z.B. Fahrräder) und schützt ihn durch Stehenbleiben.
Der Blindenführhund beachtet auch seinem Halter gefährlich werdende Seiten- und Hö-henhindernisse und umgeht diese, ohne daß das dem Führhundhalter besondere Kon-zentration abverlangt.

Demgegenüber schützt der Langstock auch bei richtiger Handhabung den Körper des Blinden oder Sehbehinderten von den Füßen aufwärts bis höchstens in Brusthöhe. Der Oberkörper hingegen bleibt ungesichert. Zwar können zusätzlich zum Langstock einsetz-bare Elektronische Mobilitätshilfsmittel dazu beitragen, daß der Blinde oder Sehbehinderte nach entsprechendem Training seine Wege sicherer gehen kann; so können beispielswei-se Ultraschallsysteme zusätzliche Informationen über Hindernisse in Kopfhöhe liefern.
Auch und gerade dann fordert das Gehen aber nicht nur eine bewußte Vorstellung des einzuschlagenden Weges, sondern extrem hohe Konzentration und die Fähigkeit zum fehlerfreien Einsatz der erlernten Langstocktechnik. Zudem können die akustischen oder
taktilen Signale elektronischer Orientierungshilfen von der Wahrnehmung des Verkehrs-geschehens ablenken.

3. Rückgewinnung der optischen Wiedererkennungsfähigkeit:
 
Hunde verfügen über einen besonders ausgeprägten Ortssinn. Diese Fähigkeit, bestimmte örtliche Gegebenheiten zu erkennen und wiederzuerkennen, kann sich der Blindenführ-hundhalter in einer Art und Weise zueigen machen, die dem Einsatz des eigenen
optischen Erinnerungsvermögens nahezu entspricht.

So wirkt auf den Benutzer von Langstock und Ultraschallbrille z.B. der Eingangsbereich eines ihm an sich bekannten Ladengeschäfts ganz unterschiedlich, je nachdem, ob der Eingang völlig frei ist, ob Gegenstände davor aufgebaut sind, ob Menschen
davorstehen oder ob Gegenstände und Menschen gleichzeitig den Eingang versperren. In allen vier Fällen hat er jeweils andere Tast- und Höreindrücke und wird oft durch diese unterschiedlichen Eindrücke mindestens leicht verunsichert sein und sich fragen, ob
er sich tatsächlich an der richtigen Tür befindet. Der Führhund hingegen erkennt in allen vier Fällen die Ladentür sofort wieder. Er wird allenfalls einen Augenblick zögern, um sich sozusagen eine "Strategie" zu überlegen, wie er seinen Halter ohne Anstoßen
an Gegenstände und Menschen sicher zur Ladentür führen kann. Die Fähigkeit des Hun-des, sich Orte sehr schnell zu merken und sich an sie sowie an den Weg dorthin noch nach vielen Jahren zu erinnern, macht sich die Führhundausbildung zunutze, indem sie
dem Blinden oder hochgradig Sehbehinderten Möglichkeiten an die Hand gibt, dem Hund bestimmte Ziele beizubringen, die er dann auf ein bestimmtes Hörzeichen selbständig auf-sucht.

Das so zurückgewonnene Sehen und Wiedererkennen erlebt der Blinde oder Sehbehin-derte sonst nur beim Einsatz eines sehenden menschlichen Begleiters.

4. Rückgewinnung der Mobilität für Blinde oder hochgradig Sehbehinderte, die aus konkre-ten Gründen des Einzelfalls zum Langstockeinsatz nicht oder nur in sehr begrenztem Um-fang in der Lage sind:

Es gibt Personen, die wegen physischer oder psychischer Beeinträchtigungen zwar nicht in der Lage sind, den Blindenlangstock zu handhaben (z.B. Unvermögen zur Anwendung der erforderlichen Pendeltechnik oder erhöhten Konzentration s.o. unter B), letzter Ab-satz), die aber gleichwohl willens und in der Lage sind, durch einen Blindenführhund ihre Orientierung und Mobilität wiederzugewinnen. Für diesen Personenkreis ist der Blinden-führhund überhaupt das einzige in Betracht kommende Hilfsmittel.

Die Überlegenheit des Hilfsmittels Blindenführhund macht aber auch für den Führhundhal-ter den Blindenlangstock einschließlich der zugehörigen Gebrauchsschulung nicht etwa entbehrlich:

Im Rahmen dieser Schulung erlernt der Blinde oder hochgradig Sehbehinderte nicht nur die bloße Langstock"technik", sondern erhält zugleich ein im Rahmen der Gebrauchsschu-lung unverzichtbares allgemeines Training der Restsinne, das ihm auch beim Einsatz des Blindenführhundes zugutekommt. Abgesehen davon wird es immer wieder Situationen geben, in denen auch der Blindenführhundhalter auf den Langstock zurückgreifen
muß: Unöglichkeit der Mitnahme des Hundes im Einzelfall aus einem bestimmten Grund, Ausfall des Führhundes durch Krankheit für längere Zeit, Notwendigkeit meist mehrmona-tigen Wartens auf Versorgung mit einem neuen Führhund etc. Auch dann muß der
Führhundhalter in der Lage bleiben, sich weiterhin selbständig im Straßenverkehr zu be-wegen, ohne auf eine Begleitperson angewiesen zu sein.

Schließlich sollten neben den vorstehend dargelegten Gründen für die Erforderlichkeit des Hilfsmittels Blindenführhund zum unmittelbaren Ausgleich der Behinderung Sehverlust auch folgende positiven Aspekte der Haltung eines Blindenführhundes nicht
unberücksichtigt bleiben:

* Geistige Gesundheit des Blinden oder Sehbehinderten:
Der Hund als Lebensgefährte ist in der Lage depressive Verstimmungen, wie sie als fol
ge einer schweren Sehschädigung oder aus anderen Gründen auftreten können, zu ver-hindern oder zu lindern.

* Körperliche Gesundheit des Blinden oder Sehbehinderten:
Haltung und Einsatz eines Blindenführhundes fördern durch die damit einhergehende Steigerung der körperlichen Bewegung die Gesundheit des Halters und sind bei zahlrei-chen Krankheitsbildern (z.B. Kreislaufbeschwerden, Diabetes) häufig auch aus
allgemeinmedizinischen Gründen indiziert.

* Soziale Eingliederung des Blinden oder Sehbehinderten:
Die Haltung eines Hundes allgemein und insbesondere eines Blindenführhundes führt zu zahlreichen Kontakten des Halters mit seinen Mitmenschen. Diesen fällt es erfahrungsge-mäß schon allein wegen des Gesprächsthemas "Führhund und alles, was damit
zusammenhängt" viel leichter, einen Blindenführhundhalter anzusprechen als etwa einen Blinden mit Langstock. Schon allein deshalb ist die bei vielen Behinderten bestehende Gefahr gesellschaftlicher Isolierung bei Führhundhaltern deutlich geringer.

* Steigerung der gesamten Lebensqualität:
Der Führhund hilft optimal, Ängste und Barrieren zu überwinden. Der Führhundhalter kann sich von fremder Hilfe und zeitlich weitgehend unabhängig ohne zu große Konzent-ration und Nervenkraft selbständig überall dorthin begeben, wohin er möchte.
Dies führt insbesamt zu einer erheblichen Erhöhung der gesamten Lebensqualität.

Kronberg im Taunus, 29.1.2002

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Barrierefreiheit der Mietwohnung

Durch das Mietrechtsreformgesetz vom 19.6.2001 (BGBl. I. S. 1149), das am 01.09.2001 in Kraft trat, ist eine für Behinderte wichtige Regelung geschaffen worden. Hierüber informiert Karl-Thomas Drerup in den Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung 15/2001:

Neu ist der Paragraph 554a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Er erlaubt es dem Mieter, die Mietwohnung auf eigene Kosten umzubauen, und zwar dann, wenn es für die behindertengerechte Nutzung der Wohnung notwendig ist. Der Vermieter muss zustimmen, es sei denn, dass er für die Verweigerung der Zustimmung ein überwiegendes Interesse
hat. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

"Paragraph 554a

Barrierefreiheit

(1) Der Mieter kann vom Vermieter die Zustimmung zu baulichen Veränderungen oder sonstigen Einrichtungen verlangen, die für eine behindertengerechte Nutzung der Mietsache oder den Zugang zu ihr erforderlich sind, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat. Der Vermieter kann seine Zustimmung verweigern, wenn sein Interesse an
der unveränderten Erhaltung der Mietsache oder des Gebäudes das Interesse des Mieters an einer behindertengerechten Nutzung der Mietsache überwiegt. Dabei sind auch die berechtigten Interessen anderer Mieter in dem Gebäude zu berücksichtigen.

(2) Der Vermieter kann seine Zustimmung von der Leistung einer angemessenen zusätzlichen Sicherheit für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes abhängig machen. Paragraph 551 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Eine zum Nachteil des Mieters von Absatz 1 abweichende Vereinbarung ist unwirksam."

Der zitierte Paragraph 551 BGB betrifft die Form der Sicherheitsleistung (zum Beispiel die Anlage "zum üblichen Zinssatz").

Die Idee zu dieser Regelung geht auf einen Vorschlag im bekannten Gesetzentwurf des Forums behinderter Juristinnen und Juristen zu einem Bundesgleichstellungsgesetz zurück. Der Vergleich der jetzt getroffenen Regelung mit dem Entwurf des Forums macht aufmerksam auf folgende Punkte:

1. Paragraph 554a gilt für die Vermietung von Wohnraum, nicht für die Vermietung von Geschäftsräumen.
2. Es muss nicht unbedingt sein, dass der Mieter selber oder ein Mitbewohner behindert ist. Ein Umbau kann vielmehr schon dann vorgenommen werden, wenn die Maßnahme für eine behindertengerechte Nutzung - so lege ich es aus: auch durch einen dem Mieter Nahestehenden - notwendig ist, und der Mieter ein berechtigtes Interesse daran hat. Ein "berechtigtes Interesse" wird der Mieter - in seiner Person! - allerdings nicht so ohne weiteres nachweisen können. Reichen wöchentliche Besuche eines Behinderten? Die Rechtssprechung wird das klären müssen.
3. Die Regelung betrifft nicht nur "bauliche Veränderungen", sondern auch "sonstige Einrichtungen", zum Beispiel die Installierung eines Treppenlifts, bei der in die Bausubstanz nicht eingegriffen wird. Oder - als Beispiel für eine Veränderung zugunsten eines Blinden oder Sehbehinderten - wenn ein Aufzug vorhanden ist der Einbau eines Sprachchips oder die Anbringung tastbarer Markierungen.
4. Die Baumaßnahme muss für die behindertengerechte Nutzung oder den Zugang "erforderlich" sein, das heißt: Erst durch die Baumaßnahme wird die behindertengerechte Nutzung oder der Zugang möglich. Im Entwurf des Forums war von einer "wesentlichen Verbesserung" die Rede. Das allein wird nach dem neuen Paragraphen 554a BGB nicht reichen.
5. Der Entwurf des Forums wollte es zulassen, dass der Vermieter die Zustimmung verweigert, wenn "anzunehmen ist, dass der Mieter zu einem Rückbau bei Beendigung des Mietverhältnisses nicht in der Lage sein wird." Der Paragraph 554a BGB löst dieses Problem eleganter durch den Anspruch des Vermieters, eine entsprechende Kaution zu verlangen, siehe Absatz 2.

Bewertung: Der neue Paragraph wird hauptsächlich von Rollstuhlfahrern bzw. für diese in Anspruch genommen werden. Doch auch Anwendungsfälle zugunsten anderer Behinderter sind denkbar. Das Beispiel einer blindengerechten Ausrüstung eines Aufzugs wurde oben bereits genannt. Hiergegen wird der Vermieter in der Regel wohl auch nichts einzuwenden haben. Ob sich allerdings die Aufstellung eines größeren Briefkastens (für Blindenschriftsendungen), die Anbringung von größeren Hausnummern oder die Installation einer verbesserten Beleuchtung im Treppenhaus (jeweils für Sehbehinderte) durchsetzen lassen wird, wird sehr vom Einzelfall abhängen. Wohl kaum wird es aber möglich sein, etwa das Aufbrechen eines zugemauerten Fensters zu erreichen, nur um "bessere" Lichtverhältnisse zu schaffen. Denn das reicht als Motiv nicht aus. Die Maßnahme muss wegen der Sehbehinderung eindeutig "erforderlich" sein.
Generell sollten die behinderten Mieter darauf achten, dass sie die von ihnen begehrten Veränderungen überzeugend begründen und dies nicht zu zaghaft vortragen. Die echten Anwendungsfälle der Norm, so schätze ich, werden insgesamt nicht sehr zahlreich sein, so dass die Vermieter beruhigt sein können. Die Voraussetzungen der Norm sind eng, die Kosten für den Umbau sind meist hoch und bei Streitigkeiten kann sich die Lösung des Konflikts lange hinziehen. Trotzdem: Der neue Paragraph ist ein Meilenstein im deutschen Recht. Der Gesetzgeber erkennt den Grundsatz an, dass das Recht auf Barrierefreiheit das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht des Vermieters einschränken kann. Diese Wertung gibt Rückhalt und Antrieb für weitere Forderungen der Behinderten. Für uns könnte das sehr interessant werden, wenn es um den Zugang zu Informationen oder um den Zutritt mit Blindenführhunden geht.

Hinweise auf einige weitere Neuerungen durch das Mietrechtsreformgesetz:

Kappungsgrenze: Bisher konnte der Vermieter die Miete binnen drei Jahren um 30 Prozent erhöhen, insgesamt jedoch nur bis zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete. Diese Kappungsgrenze wird mit Blick auf einkommensschwache Mieter auf 20 Prozent gesenkt.
Kündigungsfristen: Statt bislang maximal zwölf Monate für Mieter und Vermieter gelten künftig für die Mieter generell drei Monate Kündigungsfrist, für den Vermieter hingegen bis zu neun Monaten. Damit soll den Mietern berufliche Mobilität erleichtert werden, aber auch ein kurzfristiger Umzug in ein Alten- oder Pflegeheim.
Todesfall: Das Recht von Ehegatten und Familienangehörigen, nach dem Tode des Mieters den Mietvertrag fortzusetzen, wird auf weitere Berechtigte ausgedehnt, zum Beispiel Partner in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung.
Betriebskosten: Die Abrechnungen werden transparenter und müssen künftig verbrauchsabhängig abgerechnet werden - falls nicht anders vereinbart. Zudem muss der Vermieter die Betriebskosten künftig binnen eines Jahres abrechnen.
Kapitalkosten: Die bisherige Möglichkeit, Steigerungen der Kapitalkosten auf die Miete umzulegen, wird gestrichen.
Modernisierung: Aus Umweltschutzgründen sind künftig alle Modernisierungsmaßnahmen umlagefähig, die zur nachhaltigen Einsparung von Energie aller Art führen.

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Recht auf Urlaub

Vor 20 Jahren ging eine Welle der Empörung durch Deutschland: Das Landgericht Frankfurt/M urteilte 1980, die Anwesenheit von Behinderten im Ferienhotel sei ein Reisemangel. Ihr Anblick führe bei ,,empfindsamen Menschen zu einer Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses". Nun zog ein Urlauber deshalb wieder vor den Kadi. Ihm missfiel der Anblick blinder Touristen. Vor dem Amtsgericht Bad Homburg (2 0 2096/99) handelte er sich eine Abfuhr ein. ,,Die Anwesenheit von Behinderten in einem Hotel", so der Richterspruch kurz und unmissverständlich, ,,stellt keinen Reisemangel dar." (Aus: Berliner Morgen post vom 23.01.2000) Anmerkung: Zuletzt hatte noch das AG Kleve am 12.03.1999 - 3 0 4601)8 (NJW 00, 84) - entschieden, dass die Nähe von geistig Behinderten und von jungen Menschen mit Schüttellähmung keinen Reisemangel darstellt. Das Gericht folgert aus dem grundgesetzlichen Benachteiligungsverbot ein Gebot besonderer Toleranz behinderten Menschen gegenüber. Wann, fragt lronicus, wird wohl der erste Behinderte geltend machen, er fühle sich durch die Nähe intoleranter Nichtbehinderter gestört?

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Teilkindergeld für betreute behinderte Kinder

Eltern, deren erwachsene behinderte Kinder in Heimen und anderen Wohnstätten untergebracht sind, erhalten seit Januar 2000 auf Antrag ein Teilkindergeld von 30 Mark monatlich. Das sieht das neue Familienförderungsgesetz vor. Mit dem Teilkindergeld haben Eltern die Möglichkeit, wieder alle mit dem Kindergeldanspruch verknüpften familien bezogenen Leistungen geltend zu machen. Dieses sind unter anderem beispielsweise Beihilfen, erhöhte Ortszuschläge oder die Ubertragung des Behindertenpauschbetrags. (Aus VdK-Zeitung, Februar 2000)

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Führhunde und Einkauf

Dürfen Blindenführhunde nach wie vor in Lebensmittelgeschäfte? Mit dieser Frage wandte sich der DBSV an die Bundesgesundheitsministerin, weil dazu in der Lebensmittelhygieneverordnung nichts ausgesagt wird. Der Antwort-brief hat folgenden Wortlaut: ,,Die Lebensmittelhygiene-Verordnung vom 05. August 1997 trat am 09. Februar 1998 in Kraft. Sie sieht - im Gegensatz zu den bisherigen auf Landesrecht gestützten Lebensmittel-hygiene-Verordnungen - von Detailregelungen ab; dies betrifft auch das Mitführen von Blindenführhunden durch Blinde. In der Begründung zur Lebensmittelhygiene-Verordnung (Bundesratsdrucksache 332/97) wird jedoch klargestellt, dass grundsätzlich beim Mitführen von Blindenführhunden durch Blinde eine nachteilige Beeinflussung der Lebensmittel nicht vorliegt. Dem Mitführen von Blindenführhunden im Lebensmitteleinzelhandel steht somit nach der Verordnung nichts entgegen. Diese Auffassung wird auch von den für die Lebensmittelüberwachung zuständigen obersten Landesbehörden geteilt. An der bisherigen Praxis ändert sich deshalb aufgrund der Verordnung nichts.

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Änderung beim Telefon-Sozialtarif

Die Deutsche Telekom stellt den für Blinde und Sehbehinderte (aber auch für andere Personengruppen) geltenden Sozialtarif jetzt generell auf die Regeln des bereits für ISDN-Anschlüsse geltenden Sozialtarifs um. Ermäßigung gibt es nicht mehr bei der Grundgebühr, sondern ausschließlich bei den Einheiten. In einem an den DBSV gerichteten Schreiben der Deutschen Telekom vom 09.11.1999 heißt es dazu u.a.: ,,...Die wesentlichen Komponenten des Sozialtarifs für Verbindungen im T-Net stellen sich folgendermaßen dar: · Die Vergünstigung wird jetzt - wie bisher schon beim ISDN-Sozialtarif - auf alle wesentlichen Verbindungen gewährt, die über das Telefonnetz der Deutschen Telekom abgewickelt werden ... Die Höhe der Vergünstigung beträgt je nach berechtigtem Personenkreis monatlich zwischen 15,74 DM und 19,78 DM (jeweils brutto) und ist damit in der Höhe identisch mit den aktuellen Vergünstigungen für den analogen Telefonanschluß und den ISDN-Sozialtarif. · Die Kombination des neuen Sozialtarifs mit. einem Spezialtarif (der Telekom) ist möglich · Der Empfängerkreis wird erweitert. Zusätzlich erhalten jetzt auch Studenten, Schüler und Auszubildende, die BAFöG-berechtigt sind, die Möglichkeit der Nutzung des Sozialtarifs. Ansonsten entsprechen die Voraussetzungen ... im wesentlichen denen der heutigen Sozialkomponenten für einen analogen Sozialanschluß und den ISDN-Sozialtarif. Im einzelnen sind dies die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht oder eine Seh-, Sprach- oder Hörbehinderung von mindestens 90 Prozent. Auch die spezifischen Sonderleistungen für Kriegsblinde und schwerstbehinderte und blinde Kunden in den neuen Bundesländern werden unbefristet weitergeführt..." Als Telefonkunde brauchen Sie nichts zu unternehmen. Die angesprochenen Vertragsänderungen werden durch die Telekom veranlaßt. Altverträge in den neuen Bundesländern bleiben laut obigem Telekom-Schreiben unverändert.

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Für das Schöffenamt bewerben?

Fragen an Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin

In den Jahren 1989 und 1990 wurden zwei Schöffen ihres Amtes enthoben. Der alleinige Grund: Als Blinde seien sie generell nicht für dieses Amt geeignet. Zuvor hatten sie ihr Amt jahrelang ohne irgendwelche Beanstandungen ausgeübt. Seit diesen Vorfällen vor gut zehn Jahren fordern die Verbände der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe den Gesetzgeber auf, zu regeln, daß Blinden der Zugang zum Schöffenamt wieder eröffnet wird. Inzwischen steht in Artikel 3 des Grundgesetzes das Verbot, jemanden wegen seiner Behinderung zu benachteiligen. Trotzdem wurde und wird daran festgehalten, Blinden den Zugang zum Schöffenamt zu verweigern. Wir fragten die Bundesministerin für Justiz, Frau Herta Däubler-Gmelin, nach ihrer Auffassung zu dieser Situation: Was sind die Gründe hierfür? Sind sie auch aus Ihrer Sicht stichhaltig? Herta Däubler-Gmelin: So, wie Sie den Fall schildern, nein. Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz soll nicht zum Schöffen berufen werden, wer wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen für dieses Amt nicht geeignet ist. Von der Schöffenliste gestrichen werden kann ein Schöffe oder eine Schöffin, wenn Umstände eintreten oder bekannt werden, die eine Berufung zum Schöffen ausschließen. Das erfordert meiner Ansicht nach eine Entscheidung in jedem einzelnen Fall. Ich bin nicht der Auffassung, daß generell Blinde ausgeschlossen werden können. Das hat auch das Gesetz nicht so bestimmt, sondern überläßt die Entscheidung darüber, ob Eignung vorliegt oder nicht, in jedem einzelnen Fall den Schöffenwahlausschüssen bzw. den Gerichten. Diese müssen im Wege der Auslegung der Vorschriften entscheiden, welche geistigen und körperlichen Gebrechen im Einzelfall zur Ungeeignetheit führen und wo die Grenzen zwischen Eignung und Ungeeignetheit verlaufen. Dabei muß im voraus eine Prognose über die generelle Eignung der betroffenen Person für das Schöffenamt getroffen werden. Das Gesetz ist damit elastisch und läßt genügend Raum für flexible Regelungen. Ich selbst bin - das will ich hier ganz deutlich sagen - dafür, daß blinde Schöffen da eingesetzt werden, wo sie eingesetzt werden können. Einen pauschalen Ausschluß Blinder vom Schöffenamt halte ich für nicht gerechtfertigt und sehe mich darin auch durch die Einfügung des Art. 3 Abs. 3 GG bestätigt. Mit dieser Auffassung stehe ich - auch in der Rechtsprechung - nicht allein. Ist der generelle Ausschluß Blinder vom Schöffenamt nicht ein Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes? Herta Däubler-Gmelin: Ich halte ihn - zumindest nach Einfügung des Diskriminierungsverbots in Art. 3 Abs, 3 GG - nicht einmal für mit den geltenden gesetzlichen Regelungen vereinbar. Wann wird das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung treffen? Herta Däubler-Gmelin: Ich gehe davon aus, daß Sie die Fallkonstellation so verstehen: Blinde erklären sich dazu bereit, Schöffen zu werden und werden dann pauschal von der Schöffenvorschlagsliste der Gemeinde oder, nach dem die Wahl schon erfolgte, als gewählter Schöffe von der Schöffenliste gestrichen. Das sind nicht anfechtbare Entscheidungen. Die Verfahrensgesetze sehen weder Rechtsmittel noch Rechtsbehelfe gegen die Streichung vor. Damit ist der Rechtsweg erschöpft und gegen diese Entscheidung kann sofort das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsbeschwerde angerufen werden. Zur Dauer: Im Jahr 1989 hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise bereits nach neun Monaten über eine Verfassungsbeschwerde gegen die Streichung von der Schöffenliste entschieden. Damals hat es die Beschwerde noch abgelehnt, heute hat sich durch die Grundgesetzänderung von 1994 die Lage verändert. Wie beim Besuch des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes im Bundesministerium der Justiz am 14. Juli 1999 besprochen, sollten sich Blinde für die anstehende Schöffenwahl auf die Vorschlagslisten der Gemeinden setzen lassen und auf diesem Wege eine gerichtliche Klärung der Frage herbeiführen. Ich wäre Ihnen auch sehr dankbar, wenn Sie mir eventuelle Streichungen von der Vorschlagsliste oder der Schöffenliste schnell mitteilen könnnten. Ist bei dieser Verfahrensweise nicht damit zu rechnen, daß die praktizierte Diskriminierung für etliche weitere Jahre fortgeschrieben wird? Herta Däubler-Gmelin: Wohl kaum, wenn die Frage nach der nächsten Schöffenwahl, unmittelbar an das Bundesverfassungsgericht herangetragen wird. Ein quälend langer Weg durch die Instanzen ist nicht erforderlich.

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Urheberrecht in Europa

Den nachstehenden Beitrag entnahmen wir dem Newsletter der Europäischen Blindenunion (EBU). Autor ist David Mann, Vorsitzender der EBU-Arbeitsgruppe "Copyright": Hintergrund Das Urheberrecht ist für Blinde und Sehbehinderte von großer Bedeutung. In zehn der fünfzehn Mitgliedsstaaten der Europäischen Union berücksichtigt das jeweils geltende Urheberrecht nicht die Bedürfnisse von Personen, die Schwarzschrift nicht lesen können. Dies bedeutet, daß vor der Herstellung eines Textes in Punktschrift, auf Kassette oder als Großdruck die Genehmigung des Inhabers des Urheberrechts einzuholen ist. Hierbei kann es sich um den Autor, dessen Vertreter oder den Verleger handeln. Dies hat mindestens zur Folge, daß der für Blinde zugängliche Text erst mit zum Teil erheblicher Zeitverzögerung erscheinen kann. In manchen Fällen wird jedoch die Genehmigung zur Reproduktion gänzlich versagt. Da immer mehr Informationen über das Internet zugänglich gemacht werden, steigt gleichzeitig auch damit die Wahrscheinlichkeit der Nichtgenehmigung des Wiederabdrucks, entweder weil die Rechtsinhaber kommerzielle Verluste befürchten oder weil sie nicht verstehen, daß Blinde und Sehbehinderte das Internet überhaupt nutzen können. Der Internationale Verband der bibliothekarischen Vereine und Institutionen (IFLA) hofft auf den Aufbau einer "virtuellen Bibliothek alternativer Formate". Um diesen Traum zu verwirklichen, müssen wir jedoch daraufhin wirken, daß unser Recht auf Zugang zu Informationen durch entsprechende gesetzliche Regelungen sowohl in den einzelstaatlichen Gesetzen als auch im internationalen Recht verankert wird, um sicherzustellen, daß urheberrechtliche Barrieren unsere volle Teilhabe an der Gesellschaft nicht erschweren. EBU-Arbeitsgruppe Vor diesem Hintergrund wurde bei der EBU/EU-Verbindungskommission die Arbeitsgruppe "Urheberrecht" gebildet. Die Gruppe hatte im September 1998 in London ihre konstituierende Sitzung, bei der David Mann (RNIB) zum Vorsitzenden gewählt wurde. Die anderen Mitglieder sind Dr. Rudolfo Cattani, Henri Chauchat, Kurt Nielsen, Leif Jepsson, Felipe Ponce, Arvo Karvinen und Stephen King. Die Arbeitsgruppe hatte im März dieses Jahres ihre zweite Sitzung in Helsinki. Richtlinie der Europäischen Union Die Aktivitäten der EBU haben sich in den letzten 12 Monaten verstärkt auf den Richtlinienentwurf zum Urheberrecht und verwandten Schutzrechten in der Informationsgesellschaft (Kom 97-628) gerichtet. Dieser Entwurf strebt die Förderung der Bildung des Gemeinsamen Marktes durch Harmonisierung der einzelstaatlichen urheberrechtlichen Bestimmungen an. Da Behinderte in diesem Entwurf als wirtschaftlich bedeutungslos angesehen werden, wird auch nicht die Notwendigkeit gesehen, Regelungen für diese zu vereinheitlichen! Der Entwurf vermag es nicht, zu einem Rechts- und Interessenausgleich zwischen Verbrauchern und Rechtsinhabern zu kommen. Vor allem drei Aspekte sind an dem Richtlinienentwurf von besonderem Interesse. Ich werde sie entsprechend ihrer Dringlichkeit auflisten. Sollen gesetzliche Ausnahmen zwingend oder bloß fakultativ sein? (Richtlinienentwurf 5.3.b) Der Richtlinienentwurf sieht vor, daß die Mitgliedsstaaten in ihren jeweiligen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften Ausnahmen von den Exklusivrechten für bestimmte Kategorien der Nutzung oder Kategorien von Nutzern zulassen können. Zu den im einzelnen aufgeführten Nutzergruppen gehören unter anderem auch "seh- oder hörgeschädigte Personen". Von unserem Standpunkt aus betrachtet ist es sehr wichtig, die Mitgliedsstaaten zu verpflichten, solche Ausnahmen gesetzlich zu verankern. Wir sagen dies nicht nur, weil entsprechende Regelungen Blinden und Sehbehinderten in allen Mitgliedsstaaten nützen werden, sondern auch, weil die internationale Dimension des Internets und der Informationsgesellschaft insgesamt negiert wird, wenn sich die urheberrechtlichen Bestimmungen von einem Staat zum anderen unterscheiden. Als richtigen Schritt können wir ferner die Erweiterung der Ausnahmeregelung auf Lern- und Körperbehinderte begrüßen, denen das Lesen "im herkömmlichen" Sinne nicht möglich ist. Wir unterstützen deshalb insoweit den Änderungsvorschlag, den das Europäische Parlament hierzu unterbreitet hat. Technische Schutzmaßnahmen (Richtlinienentwurf Art. 6) Zweitens besteht das Problem technischer Vorrichtungen, mit denen sich das Vervielfältigen verhindern läßt. Da immer mehr Werke (Texte, Musik, Filme) digital abgespeichert und verbreitet werden, drängen die Hersteller darauf, daß diese nicht unbefugt vervielfältigt werden. Schon in den nächsten Jahren werden sie wahrscheinlich ihre Produkte mit technischen "Sperren" versehen, um unmäßiges Kopieren zu verhindern. Der Entwurf fordert die Mitgliedsstaaten auf, die Herstellung von Geräten für gesetzeswidrig zu erklären, mit denen sich der Kopierschutz umgehen läßt. Dies scheint durchaus vernünftig. Wir müssen jedoch dafür sorgen, daß Personen mit berechtigtem Grund, wie z. B. Blinde und jene, die für sie arbeiten, ungehindert Zugang zu den Werken haben. Wir dürfen nicht zulassen, daß an die Stelle der von Autoren und Verlegern errichteten urheberrechtlichen Barrieren nunmehr die technologischen Barrieren multinationaler elektronischer Unternehmen treten. Vorübergehendes Vervielfältigen (Richtlinienentwurf 5.1) Drittens fordert der Richtlinienentwurf, daß Ausnahmeregelungen für "begleitende" oder vergängliche Vervielfältigungszwecke zu gelten haben. Hierzu würden u.a. die Vervielfältigungshandlungen beim Einlesen eines Textes in den Computer mittels eines Scanners gehören. Hier müssen wir darauf hinwirken, daß hierunter auch Dateien fallen, die für die Herstellung von Blindenschrifttexten oder digitalen Tonträger formatiert werden, die für sich genommen keinen Wert darstellen, letztlich aber wichtig sind für unser Ziel der Herstellung alternativer Textformate. Bisher erzielte Fortschritte Der Text des Richtlinienentwurfs wurde 1998 und Anfang 1999 innerhalb der europäischen Institutionen eingehend beraten. Der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) kommt in seiner offiziellen Stellungnahme zu der Feststellung, daß Ausnahmeregelungen für Behinderte obligatorisch sein sollten. Andererseits hat das Europäische Parlament auf Empfehlung seines Rechtsausschusses sein "Erstgutachten" im Februar verabschiedet, das für uns alles andere als hilfreich ist. Denn dieses Gutachten befürwortet nicht die Geltung obligatorischer Ausnahmen. Es stärkt vielmehr das Recht der Rechtsinhaber, ihre Werke mit einem wirksamen Kopierschutz zu versehen und verstärkt die Möglichkeit der Einführung einer EU-weiten Abgabe auf den Verkauf von Leerkassetten und Disketten. Der Ministerrat wird im Verlauf des laufenden Jahres zu einer gemeinsamen Position kommen. Anschließend wird es weitere Verhandlungsrunden geben, bis sich alle Parteien auf eine gemeinsame Regelung verständigt haben. Die EBU ist in dieser Frage bereits initiativ geworden. So haben wir auf der Anhörung vor dem Wirtschafts- und Sozialrat Stellung genommen. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments wurden mit Faxen gleichsam bombardiert. Mit einigen von ihnen haben wir gesprochen. Wir haben auch eine Reihe Änderungsvorschläge formuliert, die jedoch kein Gehör fanden. Leider gibt es viele mächtige Lobbygruppen mit einem starken Interesse am Urheberrecht. Bis jetzt blieben unsere Belange unberücksichtigt, während gleichzeitig der Zeitpunkt für eine Entscheidung gekommen ist. Zudem ist bei einer Reihe nationaler Regierungen das politische Widerstreben groß, über verbindliche Ausnahmeregelungen nachzudenken. Was können wir tun? Die EU-Verbindungskommission der Europäischen Blindenunion hat ihre Mitglieder gebeten, jeweils einen Urheberrechtsbeauftragten aus ihren Reihen zu benennen, um die Einflußnahme auf die einzelnen nationalen Regierungen und die Mitglieder des Europaparlaments zu verbessern. Je mehr Personen sich hieran beteiligen, umso besser. In den kommenden Monaten wird es wichtig werden, Druck auf die Vertreter der Mitgliedsstaaten in der Arbeitsgruppe "Urheberrecht" beim Ministerrat auszuüben. In manchen Ländern ist dies das Kultur- oder Bildungsministerium, in anderen das Justiz- oder Handelsministerium. Wenn Sie nicht wissen, an wen Sie sich wenden müssen, fragen Sie bei ihrem nationalen Vertreter nach oder setzen Sie sich mit mir in Verbindung. Schlußfolgerung Obwohl das Urheberrecht zunächst eine komplexe Problematik zu sein scheint, ist es in seinen Grundzügen dennoch einfach. Während die Rechtsinhaber im Bereich geistig^n Eigentums das Recht haben, Vorteile aus ihren geistigen Anstrengungen zu gewinnen, haben Blinde und Sehbehinderte das gültige Recht, jederzeit Informationen in einem Format zu lesen, das ihnen gefällt. Bei der Nutzung ihres Rechtes dürfen ihnen keine größeren Kosten als den sehenden Mitbürgern entstehen. Anmerkung der Redaktion: Für die Bundesrepublik Deutschland ist in Sachen Urheberrecht das Bundesjustizministerium zuständig.

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Recht haben - Recht bekommen

Seit kurzer Zeit kann der DBSV Ihnen als Mitglied in Zusammenarbeit mit der Hamburg-Mannheimer Versicherungs-AG auch
hier eine vorteilhafte Vorsorge vermitteln. Der
Spezial-Rechtsschutz verhilft Ihnen zu Ihrem Recht, wenn man
Ihnen Ihre Sozialhilfeansprüche streitig machen will, oder wenn
Sie Probleme mit einem Unfallgegner bekommen oder, oder,
oder...
Interessenten wenden sich unter Angabe Ihres Namens, Vornamens,
Geburtsdatum, Anschrift an: Deutscher Blinden- und
Sehbehindertenverband e. V.

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Sicherheitsvorschriften im Flugverkehr

Die EU-Kommission plant eine Verbesserung des
Verbraucherschutzes beim Flugverkehr.
Man hat festgestellt, dass Fluggesellschaften in ihren
Leistungsbedingungen die berechtigten Interessen der Kunden
nicht ausreichend berücksichtigen. Zum Beispiel: Startet das
gebuchte Flugzeug mit 5 Stunden Verspätung, so hat der Kunde
keinen Anspruch auf Schadensersatz - und zwar egal ob die
Verspätung am schlechten Wetter lag oder daran, dass die
Schrauben in der Maschine locker waren. Unbefriedigend sind
unter anderem auch die Regelungen bei Verlust des Tickets oder
bei Abhandenkommen oder Beschädigung des Gepäcks.
Eine Arbeitsgruppe der EU-Kommission ist dabei, all diese Fälle
zu sammeln, und hat einen Zwischenbericht vorgelegt, der die
Leser ermuntern soll, über weitere Fälle Mitteilung zu machen.
In dem Bericht werden behinderte Fluggäste nur an einer
einzigen Stelle erwähnt: Sie hätten gelegentlich Probleme, wenn
sie genau auf dem Sitz Platz nehmen wollten, den sie gebucht
hätten. Der DBSV hat dies zum Anlass genommen, in einem
Schreiben an die Arbeitsgruppe darüber zu berichten, wie Blinde
wegen überzogener Sicherheitsvorschriften diskriminiert oder
sonstwie benachteiligt wurden.
(Aus: Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung 9/2000)
Nachbemerkung: Sollten Sie sich aufgrund Ihrer
Sehbeeinträchtigung einmal diskriminiert gefühlt haben, so
können Sie uns Ihre Erfahrungen gern übermitteln.

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Blindheit "im umgangssprachlichen Sinne" - der "Flintenröhrenblick"- Fall

Blind ist nicht gleich blind. Mitunter gibt es darüber auch streit.

Retinitis pigmentosa (RP) ist bekanntlich eine Augenkrankheit, in deren Folge sich beim Betroffenen das Gesichtsfeld immer mehr einengt. Besteht es nur noch in einem kleinen Punkt, so dass man wie durch ein schmales Rohr zu blicken scheint, so spricht man von einem "Flintenröhrenblick". Was der Betreffende an diesem kleinen Punkt sieht, ist unter Umständen noch in aller Schärfe zu erkennen; die Menge des Gesehenen ist jedoch so gering, dass er sozialrechtlich den Blinden gleichgestellt wird: Er erhält das Merkzeichen Bl im Schwerbehindertenausweis zuerkannt und bekommt Blindengeld bewilligt. Der hier zu schildernde Fall, der sich kürzlich ereignet hat und bei dem es um einen solchen RP-Patienten geht, beginnt damit, dass ein Mieter mit seiner Vermieterin in heftigen Streit gerät. Der Streit veranlasst die Vermieterin, ihren Mieter genau zu beobachten. Sie sieht, wie er mit einem Blindenführhund umhergeht, und sie bringt in Erfahrung, dass er in Fußgängerzonen als blinder Drehorgelspieler auftritt. Gleichzeitig fällt ihr auf, dass der Mieter selbst aus beträchtlichen Entfernungen noch kleinste Einzelheiten erkennt: dass die Muster von zwei Tapetenbahnen nicht übereinstimmen, dass in einem Wassereimer Tannennadeln schwimmen, dass auf einem Auto Staub liegt, dass die Schonbezüge auf den Autositzen fehlen. Sie teilt ihre Beobachtungen der für das Blindengeld zuständigen Behörde mit und nennt den Mieter einen Simulanten. Die Behörde ordnet darauf eine neue ärztliche Untersuchung an. Das Ergebnis fällt so aus, dass die Zahlung des Blindengeldes eingestellt wird. Der Mieter erhebt dagegen Klage vor dem Sozialgericht. Dort hat er Erfolg, denn der vom Gericht bestellte Gutachter bestätigt den besagten Flintenröhrenblick und damit das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen Bl. Eine weitere Klage des Mieters, diesmal vor dem Zivilgericht, ist ebenfalls erfolgreich: Der Vermieterin wird mit Strafandrohung untersagt, den Kläger "einen blinden Simulanten zu nennen oder sonstwie zu beleidigen". Von nun an benutzt die Vermieterin auch nicht mehr das Wort "Simulant", sie behauptet jedoch weiterhin "öffentlich, der Mieter sei "nicht blind". Erneut zieht der Mieter vors Gericht. Er verlangt jetzt, dass auch diese Aussage unterbleibt. Das Amtsgericht aber lehnt die Klage ab. Es stellt fest: In diesem Prozess gehe der Streit nicht darum, ob der Kläger blind im sozialrechtlichen Sinne sei. Es gehe vielmehr ausschließlich um die Behauptung der Beklagten, dass der Kläger nicht "blind im umgangssprachlichen Sinne" sei. In der Umgangssprache bedeute "blind", dass der Betreffende gar nichts mehr sehe. Das aber sei beim Kläger eindeutig nicht der Fall. Die Beklagte habe also keine unwahre Tatsache behauptet. Die Wahrheit zu sagen, könne man ihr nicht verbieten.

Soweit der Fall, den ich vorstehend bewusst nicht in allen Einzelheiten geschildert habe. Es geht mir nicht darum, Sympathie oder Mitleid für die eine oder die andere Partei zu wecken, und ich möchte auch keine Spekulationen darüber entfachen, ob der Kläger vielleicht doch ein Simulant war oder nicht. Mir geht es allein darum, eine Rechtsfrage zu stellen und zu beantworten: Hat jemand, der nach dem Sozialrecht einem Blinden gleichgestellt wird (auch im Sozialrecht ist in diesem Fall nicht direkt die Rede von einem "Blinden"), ein Recht darauf, sich in der Öffentlichkeit als Blinder darzustellen und sich dabei von Privatpersonen nicht stören zu lassen?

Die Antwort auf diese Frage ergibt sich nicht aus dem Sozialrecht: Die vom Versorgungsamt nach dem Schwerbehindertengesetz getroffenen Feststellungen haben nämlich Bindungswirkung ausschließlich im Verhältnis zwischen dem Behinderten und den nach dem Schwerbehindertengesetz Verpflichteten (Behörden, Gerichte, aber auch Arbeitgeber und die Beförderungsunternehmen des ÖPNV), nicht aber gegenüber jedermann. Für das letztgenannte Verhältnis gilt allein das Zivilrecht. Nach dem Zivilrecht hat jeder Mensch gegenüber jedem anderen einen Abwehranspruch gegen Eingriffe in seine absoluten Rechte, und dazu gehört auch das "Allgemeine Persönlichkeitsrecht" (vgl. Palandt Anm. 1 b) bb) zu Paragraph 1004 BGB). Zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht wiederum gehört die in Art. 1 GG garantierte Unantastbarkeit der Menschenwürde und der in Art. 2 GG geschützte Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Wer sich vom Versorgungsamt seine Behinderung feststellen und eine entsprechende Eingruppierung vornehmen lässt, hat, so meine ich, nicht nur gegenüber den oben genannten Verpflichteten, sondern gegenüber jedermann ein Recht darauf, sich mit dieser Eingruppierung zu identifizieren und eine entsprechendes gesellschaftliches Ansehen in Anspruch zu nehmen. Das heißt: Er hat ein berechtigtes persönliches Interesse, dass seine Behinderung in Übereinstimmung mit den amtlichen Feststellungen "gewürdigt" wird, und darf - wenn er dies so will - seine Persönlichkeit auch in der Weise entfalten, dass er sich in der Gesellschaft als Schwerbehinderter mit den zuerkannten Merkmalen positioniert.

Im geschilderten Fall wird der Mieter von der Vermieterin in diesen Rechten verletzt. Eine solche Rechtsverletzung kann anerkanntermaßen auch dann vorliegen, wenn "die Wahrheit" gesagt wird. Der Vermieterin ging es nämlich nicht bzw. nur vordergründig um diese Wahrheit, das heißt um die Feststellung, dass der Mieter als ein den Blinden Gleichgestellter nicht zugleich auch "blind im umgangssprachlichen Sinne" ist. Vielmehr ging es ihr - erkennbar - darum, ihren persönlichen Streit mit dem Mieter auszufechten und ihren Gegner gesellschaftlich herabzuwürdigen (der Simulanten-Vorwurf hängt unausgesprochen weiter in der Luft), ihn in seiner Identitätssuche zu stören und ihn psychisch zu quälen. O ja, es kann ihr - trotz des bestehenden Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit - durchaus gerichtlich untersagt werden, zu diesem Zwecke "die Wahrheit" zu sagen! Dass ihr das Amtsgericht im Gegenteil nun gewissermaßen eine Lizenz zur Fortsetzung ihrer Hatz erteilt, zur Fortsetzung ihrer Rechtsverletzungen, ist meines Erachtens ein katastrophaler Fehlgriff.

 Ich habe diesen Fall hier vorgetragen, um auch noch eine weitere und sehr grundsätzliche Frage anzusprechen: Wer ist berufen, die Behinderung, ihre Art und ihren Grad maßgeblich festzustellen? Gelten hier für das Sozialrecht, für andere Rechtsbereiche und für den gesellschaftlichen Kontext unterschiedliche Antworten? Ich meine nicht. Ausschlaggebend oder zumindest grundlegend ist in allen Fällen die medizinische Begutachtung nach den Maßstäben der AHP. Daran können auch neuere Definitionsmodelle ("Behinderung" als "Behindertwerden"), wie sie beim SGB IX und beim Gleichstellungsgesetz diskutiert werden, nichts ändern.

Kündigung nur schriftlich.
Der am 01.05.2000 in Kraft getretene neue § 623 BGB bestimmt: "Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag sowie die Befristung bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. "Eine nur mündlich ausgesprochene Kündigung reicht also nicht, ausreichend ist auch nicht die Mitteilung per Fax oder E-Mail. Dies ist insbesondere wichtig im Hinblick auf die zu beachtenden Fristen.

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Steuerpflicht beachten

Nach einem Erlass des bayerischen Finanzministers vom 11.2.2000 (in DB 2000 S. 548) müssen gemeinnützige Organisationen bei ihren Homepages aufpassen: Enthalten diese deutlich hervorgehobene Hinweise auf Sponsoren oder leitet ein solcher Hinweis durch Anklicken zur Homepage des Sponsors, so handelt es sich dabei um einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.

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Muss die Krankenkasse zahlen?

Ein "Videotextlesegerät" ist ein von der Krankenkasse zu gewährendes Hilfsmittel; ein "Notebook" dagegen nicht. In den Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung 10/2001 kommentiert Karl Thomas Drerup zwei Urteile:

Videotextlesegerät

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21.2.2001 - L 4 KR 9/99 habe ich vom Blindenverein Ostfriesland zugeschickt bekommen. Der Kläger beantragte bei seiner Krankenkasse, von der er bereits ein Farberkennungsgerät und ein Blindenlesegerät (Reading Edge) erhalten hatte, Gewährung eines "Videotextlesegerätes" der Firma Novotech, was die Krankenkasse ablehnte. Die dagegen erhobene Klage hatte in der ersten Instanz keinen Erfolg. Die zweite Instanz kam jedoch mit dem hier vorliegenden Urteil zu einer positiven Entscheidung. Das LSG hält das Videotextlesegerät für "erforderlich, denn durch das vom Kläger derzeit von der Beklagten zur Verfügung gestellte Lesegerät wird sein Grundbedürfnis auf umfassende Information nicht in ausreichendem Maße befriedigt... Nach seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung kann der Kläger mit dem von der Krankenkasse zur Verfügung gestellten Lesegerät nur großgeschriebene DIN-A-4 Texte in Originalschrift, aber keine Arzneibeipackzettel oder Kopien lesen. Es ist ihm nach seinem schriftlichen Vorbringen auch nicht möglich, die Tageszeitung zu lesen, da das vorhandene Lesegerät bereits eine üblicherweise formatierte Tageszeitung nicht bewältigen kann. Dieser Vortrag des Klägers wird durch das vom BSG zitierte Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 9. August 1994 bestätigt. Das Lesen der Tageszeitung ist jedoch elementarer Bestandteil des oben geschilderten Grundbedürfnisses auf Information (BSG SozR 3 3-2500 § 33 Nr. 26 S 152). Mit Hilfe des Videotextlesegerätes ist es dem Kläger jedoch möglich, Informationen und Nachrichten, wie sie sonst in Tageszeitungen zu lesen sind, abzurufen. Auf die Hilfe anderer Personen, die ihm vorlesen würden, kann der Kläger nach der Rechtsprechung des BSG nicht verwiesen werden. ... Auch der Verweis auf Rundfunk ist nicht zulässig. ... Das begehrte Videotextlesegerät ist
auch wirtschaftlich im Sinne einer begründbaren Relation zwischen Kosten und Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels. ... Der Kläger benötigt das Videotextlesegerät, um Informationen und Nachrichten aus allen Bereichen (u. a. Politik, Sport, Kultur, Wirtschaft, Produktinformationen, Kochrezepte etc) zu erhalten, die Sehende aus der Tageszeitung entnehmen können. Darüber hinaus ist der zeitliche Umfang der beabsichtigten Nutzung und die Bedeutung der jeweils erschließbaren Informationen maßgebend. ... Dazu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft dargelegt, dass er das Videotextlesegerät durchschnittlich 3 Stunden täglich benutzen werde und er auch bereits schon Erfahrungen damit habe, da ihm schon heute Videotexte von einem Freund vorgelesen würden."

Kommentar: Mit diesem Urteil wird das LSG der zunehmenden Bedeutung der elektronischen Medien gerecht. Das LSG hält ein Hilfsmittel für (medizinisch) erforderlich, das allein dem Zugang zum Videotext dient und den fehlenden Zugang zu Tageszeitungen kompensiert. Mindestens ebenso erforderlich müssten Hilfsmittel sein, mit denen der Blinde Zugang zum Internet findet, wobei dies allein schon den Anspruch auf das Gerät ausreichend begründen würde. Bedenklich stimmt hingegen die Darstellung der geringen Brauchbarkeit des bereits vorhandenen Lesegeräts. Ist dies tatsächlich so wie beschrieben, so können die Krankenkassen demnächst die bisher gewährten Lesegeräte als unwirtschaftlich ablehnen.

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Notebook

Dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.1.2001 - B 3 KR 10/00 R (das ich von Herrn Demmel bekommen habe) lag ein Fall zugrunde, in dem ein hochgradig Sehbehinderter mit zusätzlichen schweren körperlichen Behinderungen bei seiner Krankenkasse ein "Diktiergerät inklusive einem Konferenzmikrofon sowie einem sehbehindertengerechten
Notebook inklusive Zubehör" beantragt hatte. Nachdem die Krankenkasse abgelehnt hatte, erhielt der Behinderte die gewünschten Geräte als Vorleistung von der Sozialhilfe,
die nun ihrerseits die Krankenkasse auf Regress verklagte. An diesem Prozess nahm der betroffene Behinderte als Beigeladener teil. Das Sozialgericht gab der Klage im Hinblick auf das Diktiergerät statt. Das Notebook hielt es jedoch für unwirtschaftlich. Dagegen legte der Beigeladene (und nur dieser) Berufung ein, und da diese keinen Erfolg hatte, ging er in die Revision. Doch auch das BSG lehnte die Finanzierung des Notebooks durch die Krankenkasse ab. In seiner Begründung geht das BSG kurz auf die Frage ein, ob das Notebook ein "allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens" ist. Es lässt diese Frage dann jedoch offen, weil die Beklagte eindeutig aus anderen Gründen nicht leistungspflichtig sei. Diese anderen Gründe sind: "Das LSG hat zutreffend erkannt, dass der Beigeladene das von ihm benutzte sehbehindertengerecht ausgestattete Notebook nicht benötigt, um etwa das allgemeine Grundbedürfnis des täglichen Lebens auf Kommunikation mit
anderen Menschen sicherzustellen oder wesentlich zu erleichtern. Nach den Feststellungen des LSG steht dem Beigeladenen für diesen Zweck ein behindertengerecht ausgestatteter stationärer PC zur Verfügung. ... Der Beigeladene ist zur Verständigung nicht auf den Einsatz eines Notebooks angewiesen. Es dient dem Beigeladenen vielmehr allein der Organisation seines Jurastudiums. Das Aufzeichnen des Inhalts von Vorlesungen oder die schnelle Verfügbarkeit juristischer oder spezieller studienrelevanter Texte mit Hilfe eines Notebooks ist, worauf das LSG bereits hingewiesen hat, für den mehrfach behinderten Kläger eine erhebliche Erleichterung. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Grundbedürfnisse eines Menschen, sondern um die Ermöglichung einer Ausbildung, die der Ausbildung qualifizierter Berufe dient und nicht jedermann zugänglich ist."

Kommentar: Das BSG setzt hier konsequent seine schon Jahrzehnte alte Rechtsprechung fort, wonach das Beschaffen, nicht aber das Speichern von Informationen ein elementares Grundbedürfnis darstellt, so dass die Krankenkasse zwar Lesegeräte, aber keine Hilfsmittel zum Schreiben (und zu anderen Formen der Textspeicherung) gewähren muss. Die letztgenannten Geräte fallen ausnahmsweise nur dann in die Leistungspflicht der
Krankenkasse, wenn der (auch sprachlich) Behinderte sie braucht, um überhaupt eine Verständigung mit anderen Menschen führen zu können. Dieser Fall war hier nicht
gegeben. Insoweit ist das vorliegende Urteil auch nicht weiter interessant. Für uns von Bedeutung sind jedoch die Ausführungen zum Begriff des "Gebrauchsgegenstands". Ich
verweise zunächst auf das in den Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung 8/2001 besprochene neue Urteil des BSG. Danach ist nicht nur ein PC, sondern sind auch andere Komponenten eines offenen Lesesystems Gebrauchsgegenstände und sind daher von der Krankenkasse nicht zu finanzieren. Das BSG geht jetzt noch einen Schritt weiter (obwohl auch dieser Schritt durchaus auf der Linie schon älterer Rechtsprechung liegt, zum Beispiel der zum "orthopädischen Schuh"). Jetzt nämlich lässt das BSG erkennen, dass auch Komponenten eines geschlossenen (!) Systems Gebrauchsgegenstände sein können und vom Versicherten anteilmäßig zu zahlen sind. Konkret heißt es: "Auch wenn das vom Kläger benutzte Notebook über zusätzliche Ausstattungen verfügt, die speziell auf die Bedürfnisse erheblich Sehbehinderter abgestellt sind, so enthält es doch als wesentlicher Bestandteil wie jedes andere handelsübliche Notebook einen in kompakter Bauweise zusammengesetzten PC." Daraus folgt: Die Blinden und Sehbehinderten werden sich generell darauf einstellen müssen, dass sich die Hilfsmittelversorgung auf die behindertenspezifischen Elemente ihrer elektronischen Ausstattung beschränken wird. 

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Neuntes Buch Sozialgesetzbuch in Kraft

Am 01. Juli 2001 ist das seit langem erwartete Neunte Buch Sozialgesetzbuch, kurz SGB IX, in Kraft getreten. Es regelt, wie es im Titel heißt: die "Rehabilitation und

Teilhabe behinderter Menschen". Im ersten Teil, Paragraphen 1 bis 67, sind Regelungen enthalten, mit denen die Arbeit der Träger der medizinischen, beruflichen und sozialen Reha in Zukunft besser koordiniert wird. Der zweite Teil, Paragrafen 68 bis 160, besteht aus den Normen des bisherigen

Schwerbehindertengesetzes, das jetzt durch das SGB IX abgelöst wird. Dem SGB IX angefügt sind 67 Gesetzesartikel, mit denen diverse Einzelgesetze geändert

werden. Mit diesem großen Gesetzeswerk soll für die Behinderten vieles besser werden. Hier können wir nur über die wichtigsten Neuerungen in Kürze berichten:

1. Die Sozialleistungsträger (gesetzliche Krankenkassen, Arbeitsämter, Sozialämter und andere) müssen bei Hörbehinderten (und dazu gehören auch Taubblinde und

Hörsehbehinderte) bei der Ausführung von Sozialleistungen die notwendigen Kosten für Dolmetscher oder andere Kommunikationshilfen tragen. Gehörlose erhalten das

Merkzeichen Gl.

2. Die Kosten für ein Training lebenspraktischer Fertigkeiten sind vom Träger der medizinischen Reha zu übernehmen, wenn die Maßnahme medizinisch indiziert ist.

3. Bei der Sozialhilfe (Eingliederungshilfen) gibt es Erleichterungen für Eltern behinderter Kinder. Bei minderjährigen Kindern wird der Kreis der einkommens- und

vermögensunabhängig gewährten Leistungen (Paragraf 43 BSHG) erweitert. Bei erwachsenen Kindern, die sich in vollstationären Einrichtungen befinden, können sich die Eltern über eine pauschale Unterhaltszahlung die Einkommens- und Vermögensprüfung ersparen.

4. Die Rehaträger richten gemeinsame Service-Stellen ein, die die Hilfesuchenden beraten und die die Anträge sofort an die zuständige Stelle weiterleiten. Die Bearbeitung der Anträge soll durch vorgegebene Fristen beschleunigt werden.

5. Der Träger der beruflichen Reha ist - innerhalb der ersten drei Jahre der Reha - auch für die Finanzierung einer notwendigen Arbeitsassistenz zuständig. Damit werden die Hauptfürsorgestellen (jetzt: "Integratonsämter") entlastet bzw. bleibt mehr Geld übrig für die aus dem Ausgleichsfonds finanzierten Hilfen.

6. Werden schwerbehinderte Arbeitnehmer wegen ihrer Behinderung vom Arbeitgeber in unzulässiger Weise benachteiligt, können sie Schadensersatz verlangen. Dies gilt unter bestimmten Voraussetzungen auch für abgewiesene Stellenbewerber. Einen Anspruch auf Anstellung gibt es jedoch nicht.

Am SGB IX ist lange "herumgedoktert" worden. Bereits 1993 hatte es einen ersten Anlauf der damaligen Bundesregierung gegeben. Der jetzt erfolgreiche zweite Anlauf brauchte anderthalb Jahre. Der DBSV war auf mehreren Ebenen aktiv,

um Verbesserungen für Blinde und Sehbehinderte zu erreichen und um Verschlechterungen abzuwenden. Vor allem der Punkt 2 der oben genannten Verbesserungen ist ein Erfolg unserer Überzeugungsarbeit. Im Hinblick auf Punkt 1 hatten wir mehrmals auf die besonderen Belange der Taubblinden und Hörsehbehinderten hingewiesen.

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Blindenstock vor Gericht

In einem Zivilverfahren vor dem Landshuter Amtsgericht verlangte ein pensionierter Beamter 1000 Mark Schmerzensgeld und 1500 Mark zur Wiederbeschaffung seiner zerkratzten Brille, weil er über den Langstock einer blinden Frau gestolpert ist. Am 08. September vergangenen Jahres war Gerda Kloske, sie war die Langstockläuferin, mit einem Ingenieur des Tiefbauamtes dienstlich in der Stadt unterwegs, um an Ampeln die akustischen Signale für Blinde zu überprüfen. Als sie eine Straße überquert hatte, kreuzte besagter Fußgänger ihren Weg, stolperte über den Blindenstock, fiel hin; schürfte sich dabei eine Wange auf, und seine Brille wurde beschädigt.

Am 09. August fand die Verhandlung statt. Gerda Kloske hat den Prozess gewonnen.

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Stock oder Hund!?

In den Mitteilungen der DBSV-Rechtsabteilung 22/2001 berichtet Karl Thomas Drerup von einer verheerenden Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg:

Es ist diesmal kein Urteil, sondern ein sogenannter Gerichtsbescheid, der erlassen wird, wenn ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Die Wirkungen sind aber dieselben wie bei einem Urteil, § 105 SGG. Das Sozialgericht Hamburg hat mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2001 - S 23 KR 672/99 entschieden: Gegen die Krankenkasse gibt es keinen Anspruch auf Gewährung eines Blindenführhundes, wenn der Versicherte ein
Langstocktraining absolviert hat oder noch absolvieren könnte.

Diese Entscheidung ist absolut inakzeptabel:
Das Langstocktraining ist nicht die Alternative zum Führhundeinsatz, sondern ist praktisch Voraussetzung. In den DBV-"Richtlinien für die Auswahl und Ausbildungen von
Führhunden, Auswahl, Einarbeitung und Nachbetreuung der Führhundhalter" vom Dezember 1989, auf die auch das Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen - PG 99
(Qualitätskriterien für Blindenführhund) - verweist, wird unter Punkt B II ausgeführt: "Ohne ein O&M-Training als Basistraining zur Erlangung einer Grundsicherheit des
Bewegungsverhaltens kann sich ein Nichtsehender in der Regel nicht einem Führhund unter den Bedingungen des modernen Straßenverkehrs anvertrauen.
Bewegungsunsicherheit bzw. Bewegungsangst übertragen sich auf den Hund (Phänomen der Stimmungsübertragung), sodass beide Partner unsicher werden."
Wie ist es zu diesem Urteil gekommen?
Im Jahre 1998 beantragte eine damals 32-jährige blinde und diabeteskranke Frau, die
gerade eine gelungene Nierentransplantation hinter sich hatte und nicht mehr an die Dialyse musste, bei ihrer Krankenkasse die Gewährung eines Blindenführhundes. Die
Krankenkasse legte den Antrag ihrem Medizinischen Dienst zur Begutachtung vor. Dieser stellte fest, (nachfolgende Zitate entstammen der vom Gericht formulierten
Entscheidungsbegründung) dass die Antragstellerin "in vollem Umfang Langstocktechniken beherrsche". Deswegen sei "die Kostenübernahme für einen Blindenführhund zur aus allgemeinmedizinischen Gesichtspunkten sinnvollen Steigerung der Eigenmobilität in das ggf. nach § 12 SGB V eingeschränkte Ermessen" der Krankenkasse gestellt. (Kommentar: Die Krankenkasse hat hier natürlich kein "Ermessen", sondern muss die Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der beantragten Leistung sachgemäß bewerten.) Auf dieses MD-Gutachten gestützt lehnte die Krankenkasse die Leistung ab, worauf sich die Frau mit allen Mitteln zur Wehr setzte. Sie machte geltend, "dass die Orientierung mit dem Langstock mit Schwierigkeiten und Gefahren verbunden und je nach Witterungsverhältnissen teilweise unmöglich sei, während ein Blindenhund selbständig und sicher bei Wind und Wetter und durch jeglichen Verkehr führe". Diesen Vortrag konkretisierte sie mit ärztlichen Bescheinigungen über die Folgen eines Sturzes, als sie mit einem in den Straßenraum hineinragenden Metallteil kollidiert war. Ferner machte sie - ebenfalls unterstützt durch ärztliche Gutachten - auf ihren besonderen Bewegungsbedarf als Diabetikerin aufmerksam.

Im Nachhinein, also in dem Land, wo man bekanntlich immer klüger ist, stellt sich die Frage, ob die Klägerin gut beraten war, das Thema "Diabetes" dermaßen in den Vordergrund zu stellen. Die eigentliche Streitfrage: "Ist eine Führhundversorgung nach Langstocktraining noch erforderlich und wirtschaftlich" ging dadurch unter. So stellt es sich jedenfalls dar, wenn man die Entscheidung liest. Dass man, um gesund zu bleiben, "Bewegung" braucht, reicht für sich allein noch nicht aus, um die Finanzierung eines Blindenführhundes zu rechtfertigen. In diesem Punkte, so meine ich, hat das Sozialgericht durchaus nachvollziehbar entschieden. Der Anwalt der Klägerin hätte das grundlegende
Führhund-Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.02.1981 - 5a/5 RKn 35/78 lesen sollen. In diesem wurde seinerzeit festgestellt, dass durch den Führhund "der zur Verfügung
stehende Freiheitsraum hinsichtlich der Grundbedürfnisse des Behinderten erweitert wird" (...) "weil durch den Hund die verlorene, zur Umweltkontrolle aber erforderliche
Sehfähigkeit (...) ausgeglichen wird. In diesem Sinne ermöglicht der Führhund allgemeine Verrichtungen des täglichen Lebens - so insbesondere die Teilnahme des Blinden am Straßenverkehr - und dient damit elementaren Grundbedürfnissen."

Wichtig ist also nicht die "Bewegung" als solche (zu der man in der Tat auch durch Schwimmen, Körpertraining und sonst was kommt), sondern der Aspekt, dass mit Hilfe des Führhundes in Gebäuden und draußen auf der Straße "Verrichtungen des täglichen
Lebens" möglich werden. Zu diesen Verrichtungen kann dann natürlich auch das
Aufsuchen einer Sportstätte gehören.

Aber auch dem Gericht muss man vorwerfen, dass es das BSG-Urteil nicht zu Rate gezogen und die sich daraus ergebenden Fragen nicht gestellt hat. Vor allem aber wäre es geboten gewesen, die Hauptfrage des Streitfalls gutachterlich klären zu lassen: Inwieweit ist der Gebrauch des Führhundes bzw. die Nutzung von dessen Augen ein notwendiges Plus gegenüber dem Langstocktraining? Dabei mag der Aspekt der Selbstgefährdung im individuellen Fall möglicherweise auch eine Rolle spielen. Aber das sollten Fachleute beurteilen. Möglicherweise liegt ja auch schon Fachliteratur zu diesem Thema vor.

Es steht zu befürchten, dass der Gerichtsbescheid des SG Hamburg die Krankenkassen dazu veranlasst, nun reihenweise die Versorgung mit einem Blindenführhund abzulehnen. Um dies zu verhindern, müssen wir so bald wie möglich Gespräche mit den
Krankenkassenverbänden führen. Die Vorbereitungen dazu sind im Gange.

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